piwik no script img

Archiv-Artikel

„Manche sind nicht behandelbar“

Psychiatrisch kranke Täter standen im Mittelpunkt einer fächerübergreifenden Tagung: Polizei, Psychiater und Juristen suchen verstärkt nach gemeinsamen Ansatzpunkten für Prävention. Immer geht es um die Prognose: Wie gefährlich ist der Mensch?

Hinter Tierquälerei könne krankhafter Sadismus stecken, warnen Experten

AUS BREMEN Eva Rhode

Den Taten von Stalkern, Kannibalen, Satanisten und Sexualstraftätern stehen Ermittler, Juristen, Psychiater und Polizisten oft fassungslos gegenüber. Manchmal auch ratlos – wenn es darum geht, das künftige Handeln oder die Gefährlichkeit dieser Täter frühzeitig einzuschätzen. Das fordert die Öffentlichkeit zunehmend. In diese Lücke zwischen polizeilicher, juristischer und psychiatrischer Arbeit stieß vergangene Woche der Kongress mit dem doppeldeutigen Titel „Macht-Phantasie-Gewalt“, den der Bremer Kripobeamte und Profiler Axel Petermann und Luise Greuel vom Bremer Institut für Polizei- und Sicherheitsforschung als „Interdisziplinäres Forum Forensik“ erstmals organisierten. Wegen großer Nachfrage wird die Tagung im Frühjahr wiederholt, zu der jetzt rund 200 Fachleute aus der Schweiz, Deutschland und Österreich angereist waren.

Schnell war dabei klar geworden, dass hinter der Phantasie als Triebfeder für perverse Taten von Sadisten oder Kannibalen oft psychiatrische Krankheiten stecken – die krankhaft nach Steigerung verlangen. Dadurch erfahren die Täter eine perverse Befriedigung, die sie anders meist nicht erleben können.

„Warum Menschen andere Menschen aufessen, was soll man dazu sagen“, hatte die Chefforensikerin der Psychiatrie Lippstadt, Nahlah Saimeh, sachlich eingeführt in das Krankheitsbild des Sadismus, in dem aus perverser Phantasie und erster Grenzüberschreitung langsam ein Handlungsmuster entsteht – „das ab einem bestimmten Grad nicht mehr behandelbar ist“. Für diese Personengruppe forderte Saimeh die Einrichtung so genannter Long-Stay-Einrichtungen. Dort müssten Gewalttäter ohne Therapiechance angemessen leben können. „Vielleicht hat die Neuropsychologie in 20 Jahren eine Antwort für diese Menschen“, so Saimeh. Auch FachkollegInnen bemerkten am Rande: „Manche Täter machen wir mit Therapie nur gefährlicher.“

Juristen und Polizisten trieb unterdessen eher die Frage um, wie die Gefährlichkeit solcher Menschen im Sinne der Prävention früh zu erkennen sei. Aufgeschreckt durch die Darstellung, dass Tierquälerei ein Zeichen von frühem Sadismus sein könne, forderten einige, den Straftatbestand der Tierquälerei einzuführen. „Es handelt sich dabei nicht um Sachbeschädigung.“ Fallanalytiker Thomas Müller berichtete von schwerer Tierquälerei in Bayern. Dabei hätten Richter und Staatsanwälte den Tatverdächtigen aber in Unkenntnis künftiger Risiken ohne Begutachtung laufen lassen.

„Staatsanwälte sind zu schlecht ausgebildet um zu erkennen, wann Gutachten angefordert werden müssten“, räumten Vertreter der Anklage ein. In höchstens 45 Prozent aller Fälle gebe es ein Gutachten. Der holsteinischen Staatsanwältin für Sexualdelikte – „lieber ein Gutachten zu viel“– widersprach jedoch ein Bremer Richter. „Uns geht es um Sachaufklärung. Außerdem verlängern Gutachten die Verfahren.“

Wenn Frauen Kinder missbrauchen, quälen und verschleiern sie – wie männliche Täter

Psychiater forderten unterdessen von Gerichten und Staatsanwaltschaft leichteren Zugang zu Strafakten. Diese böten wichtige Einblicke in Täterstrukturen und erleichterten es, Prognosen über künftige Risiken zu stellen.

Mehr Akteneinsicht forderte auch Ursula Endres von der Kölner Beratungsstelle gegen sexuellen Missbrauch, „Zartbitter“: „Wenn wir wissen, welche Schweigegebote die Täterin dem missbrauchten Kind auferlegt hat, können wir schneller heilen.“ Die Psychologin hatte zuvor das Dunkelfeld von Missbrauch ausgeleuchtet, der von weiblichen Täterinnen begangen wird. Eine Berliner Studie gehe von weiblicher Täterschaft in 15 bis 25 Prozent der Missbrauchsfälle aus. „Zartbitter“ habe in Kölner Kitas allein im vergangenen Jahr 14 Hinweise auf Frauen als Täterinnen gehabt. Diese gingen keinesfalls weniger qualvoll als Männer vor, doch verübten sie die Taten eher an weniger Kindern, die meist sehr jung seien – weshalb die Übergriffe wahrscheinlich eher unentdeckt blieben. „Es regiert immer noch die Annahme von der schützenden Mutter“, so Endres. Sie aber kenne Frauen, die wie Männer als Täterinnen gezielte Verschleierungsstrategien anwendeten, um ihre Umgebung zu vernebeln und von sich abzulenken.

Zum Stalking, „der Tat mit den vielen Gesichtern“, lieferte das Bremer Duo Greuel und Petermann neueste Erkenntnisse. Zwar sei die deutsche Forschung über dieses Phänomen des Nachstellens und Bedrohens von Ex-Geliebten noch nicht sehr weit. Doch könne man klar sagen: Wenn der männliche verschmähte Ex eine Waffe habe, die frühere Partnerin verfolge und sie konkret bedrohe – „dann ist das Risiko der Frau, getötet zu werden, sehr hoch“. Dies gelte insbesondere, wenn der Mann die Frau in der vorangegangenen Beziehung geschlagen habe. Doch warnte die Forscherin Luise Greuel davor, die Gefahren aufzubauschen: Meistens verliefe Stalking, das Opfer häufig als bedrohlichen Psychoterror erleben, ohne Gewalt. Eine Überzeichnung der Gefahren, etwa in den Medien, könne unerwünschte Dynamik entfachen: „Denn wir wissen aus der Forschung, dass ängstliche Opfer besonders gefährdet sind.“