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Archiv-Artikel

Unfreundliche Verhältnisse

Pünktlich zum Jahrestag: Die Dokumentarfilme „Grenze“ von Holger Jancke und „Autobahn Ost“ von Gerd Kroske legen subjektive Blicke auf den Alltag im „Schutzstreifen“ und mit Schlagbäumen frei

VON DIETMAR KAMMERER

Rechtzeitig zum 15. Jahrestag des Mauerfalls kommen zwei Filme in die Kinos, die einen je eigenen Blick auf deutsch-deutsche Grenzverhältnisse werfen. Beide sind dort am interessantesten, wo sie blinde Flecke aufweisen.

Die Interna des DDR-Grenzregimes aus Sicht der Soldaten erkundet der Dokumentarfilm „Die Grenze“ von Holger Jancke. Fünf junge Männer wurden im Februar 1986 ins Grenzausbildungsregiment Halberstadt einberufen, um dort in der Verteidigung ihres Heimatlandes gegen „äußere und innere Feinde“ ausgebildet zu werden. Aus Überzeugung, so macht der Film glauben, hat keiner der Beteiligten anderthalb Jahre seines Lebens im Niemandsland des „Schutzstreifens“ verbracht, eher aus Fantasielosigkeit, Unwillen, sich zu widersetzen, und dem Wunschdenken, es werde schon nicht zum Äußersten kommen. Über den Ernstfall wird nicht nachgedacht, jedenfalls nicht laut. Der Alltag ist bitter genug. Im Ort wird die so genannte „Garde des Proletariats“ mit Hass empfangen, nach Westen steht ohnehin der Feind, und auch nach Osten, zur Familie, ist jeglicher Kontakt untersagt. Trotzdem schreiben einige heimlich Briefe, einer macht sogar Fotos, wofür Militärgefängnis droht. Regisseur Jancke, einer der fünf, bringt die unfreiwillige Gruppe nach Jahren zurück an den Ort, den sie nie wieder sehen wollten, konfrontiert sie mit ihrer Einstellung zur „Schusswaffengebrauchsbestimmung“ und mit der Entscheidung von einem, der sich damals gegen Militärdienst und Staatsräson entschied.

Ein subjektiver Blick auf den Todesstreifen, der ebenso viel auslässt, wie er zu sehen gibt. Manches wohl unbeabsichtigt. „Hat sich überhaupt nichts verändert hier“, meint einer der Exgrenzer beim Gang durch die ehemalige Kaserne in Halberstadt und meint Größe und Ausstattung der Räume. Er hat mehr Recht, als er ahnt. Das Gebäude heißt heute „Ausreisezentrum“ und ist ein Abschiebelager für Asylbewerber. Grenzen produzieren immer unmenschliche Bedingungen für die, die sie überschreiten wollen.

Noch mehr Zeitzeugen deutsch-deutscher Vergangenheit lässt Gerd Kroske in „Autobahn Ost“ zu Wort kommen. Der Film kann als Komplement zu Janckes Doku gesehen werden. Wieder geht es um die Grenze, diesmal allerdings um deren kontrollierte Durchlässigkeit: den Transitverkehr. Allerdings herrscht bei Kroske ein völlig anderer Tonfall: der von Ingenieuren und Offiziellen. Die kennen keine Gewissensbisse, sondern nur technische Probleme und deren Lösung. Das formuliert prägnant ein Exkontrolleur wie folgt: „Wenn es nicht gewünscht war, dass ein Auto diese Grenze passiert, wurde der Schlagbaum in Bewegung gesetzt.“ Es gehört zur Ingenieurslogik, dass solch ein Schlagbaum-Einsatz in aufwändigen Testreihen mit verschiedenen Fahrzeugtypen in aller Gründlichkeit untersucht wurde. Und wer bei einem Fluchtversuch den Schlagbaum zerstörte, bekam noch in die Gefängniszelle eine Rechnung zugestellt. Worüber sich Kroskes Grenzbeamte Sorgen machten: dass genügend Ersatzteile auf Lager waren. Kein Wunder, dass bei einer solchen Denkweise die Beteiligten im verklärenden Rückblick von „freundlichen Verhältnissen“ fantasieren.

Das hätte ein durchaus skurriler Film werden können, wenn Kroske sich nicht entschlossen hätte, der „Kälte“ der Technik mit den Mitteln der Kunst zu begegnen. Statt eines Dokuments will „Autobahn Ost“ mit allen Mitteln ein Kunstfilm sein, verweigert Angaben zu Personen oder Orten, schneidet assoziativ, stellt unterschiedliches Material als gleichwertig aus. Kein Wunder, dass der Film auch noch die „Verkehrsprojekte“ des Fotografen Hans-Christian Schink einbindet, ohne deren sublime Ästhetik jedoch zu erreichen. Wo Jancke sich für die radikale Subjektivierung der Vergangenheit entscheidet, zerfällt die Erinnerungsarbeit bei Kroske in Technik und Kunstwollen.

„Die Grenze“, R.: Holger Jancke; „Autobahn Ost“, R.: Gerd Kroske, beide Deutschland 2004, Termine im Programm