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Archiv-Artikel

Pfeilgerade ins Debakel

Die Pleite mit Airbus wird immer wahrscheinlicher, die ersten Standortfreunde gehen bereits von der Fahne. Im Rathaus wollen manche mit einem PUA nach den Schuldigen für die Tricksereien fahnden, mit denen Alt-Bürgermeister Voscherau startete

Eine Analysevon Sven-Michael Veit

Es sind die Zwischentöne, welche die Musik machen. Nicht die Fensterreden im Parlament, nicht vollmundige Presseerklärungen, die seit geraumer Zeit immer seltener und kleinlauter werden, nicht die volltönend verkündete Bestandsgarantie für einen Hamburger Stadtteil, der als Dorf der widerspenstigen Obstbauern seinen festen Platz in der Historie Hamburgs zu erkämpfen sich anschickt. Die Begleitgeräusche sind es mithin, die zunehmend misstönend ausfallen, denn Hamburgs großer Standort-Koalition, keineswegs nur dem zurzeit real regierenden Senat, droht die ultimative Bruchlandung auf den Äckern von Neuenfelde.

Der Baustopp für die Verlängerung der Airbus-Piste, welchen das Oberverwaltungsgericht vor drei Monaten verhängt hat, ist mit juristischen Mitteln höchstwahrscheinlich nicht wieder aus dem Weg zu räumen. Schon gar nicht unter dem enormen Zeitdruck, welchen der Konzern auf die Stadt ausübt. Zwar will von dem Ultimatum, das Airbus-Chef Noël Forgeard vor Monatsfrist Bürgermeister Ole von Beust in Toulouse übermittelte, niemand mehr etwas wissen. Der, formulieren wir es also netter, dringende Wunsch nach „Planungssicherheit“ besteht gleichwohl beim zweitgrößten Flugzeugkonzern der Welt. Stadt und Airbus brauchen Land, und das ist nicht in Sicht, solange vier grundbesitzende Sturköpfe von Neuenfelde ihre Scholle nicht hergeben wollen.

Der B-Plan

Also werden im Zweifel andere Saiten aufgezogen. Die Auffrischung gerichtsverwertbarer Argumente von Stadt und Airbus ist die B-Variante, welche allerdings zwei gravierende Nachteile aufweist: Ein wasserdichtes neues Planfeststellungsverfahren lohnt nur, wenn Airbus Geduld aufbringt, dauert günstigstenfalls mehrere Monate und ist selbstredend gerichtlich anfechtbar. Vor nächstem Sommer geht da selbst bei größter Eile kaum etwas, und sicher ist gar nichts. Denn die Begründung für das Projekt muss das Gericht davon überzeugen, die bislang untersagten Enteignungen doch noch zu erlauben.

Dafür jedoch ist zwingend der Nutzen für die Allgemeinheit nachzuweisen, der bislang behauptet wurde, aber nicht belegt werden konnte. Das Gutachten der Unternehmensberater Deloitte, das die Wirtschaftsbehörde am Dienstag veröffentlichte, dient einzig diesem Zweck. Bis zu 4.000 zusätzliche Arbeitsplätze bei und durch Airbus verheißt diese Expertise im Falle einer Landebahnverlängerung, ohne diese These allerdings auch nur rechnerisch zu belegen. „Juristisch ist das nicht belastbar“, achselzuckt ein Kritiker. Nachgelegt wird deshalb nächste Woche mit einer Jobzuwachs-Studie der Hamburger Gesellschaft für Wirtschaftsförderung (HWF), über die der Bürgermeister bereits gestern in handverlesener Runde plauderte (Text unten). Nicht beseitigen allerdings können beide Papiere das Problem mangelnder Glaubwürdigkeit in der Argumentation von Airbus, welche das Gericht zerpflückte.

Denn der Konzern macht nun den Bau des prestigeträchtigen Auslieferungszentrums für den A380 samt etwa 100 Arbeitsplätzen von der neuerlichen Landebahnverlängerung abhängig. In den Verfahren vor den Gerichten jedoch war davon keine Rede. Konnte auch nicht, denn die Auslieferung war bereits integraler Bestandteil der ersten Planung: Das Mühlenberger Loch wurde auch für die Halle mit den großen Schaufenstern vernichtet, welche der Konzern nun zur Disposition stellt.

Über dieses falsche Spiel von Airbus sind manche in Parteien und Behörden inzwischen durchaus erbost. „Wir haben denen gesagt, dass sie mehr bringen müssen“, seufzt nun einer, der weiß, worüber er spricht, und deshalb ungenannt bleiben möchte.

Die lackierte Rollbahn

Unübersehbar sind derweil die ersten Absetzbewegungen in Politik und Wirtschaft, denn mit untergehen möchte niemand so recht. In Hamburgs Regierungszentrale, der Handelskammer, wurden bereits skeptisch wiegende Köpfe gesichtet, und aus der Kammer Anbau, dem Rathaus, dringt Gemunkel über einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss „Wer ist Schuld außer Airbus?“. Offiziell wird dementiert: „Abwegig“, sagt CDU-Sprecher Hein von Schassen, „nicht darüber nachgedacht“ will SPD-Vormann Michael Neumann haben, GAL-Fraktionsvize Christian Maaß hingegen lässt mit der Ansage, „wir werden die Entwicklung aufmerksam beobachten und behalten uns Schritte vor“, Interesse durchscheinen.

Verwundern muss die Reserviertheit zu diesem Zeitpunkt nicht, sitzen SPD und CDU doch seit Beginn der jetzigen Airbus-Planungen 1997 in einem Boot. Das teilten sie vorübergehend auch mit den Grünen, aber die suchen schon seit dem Ende der rot-grünen Koalition vor drei Jahren wieder nach festem Boden unter den Füßen. Vor allem der Sozialdemokratie, zu deren Regierungszeiten das Airbus-Debakel Gestalt anzunehmen begann, drohen bei einer Aufarbeitung der jahrelangen heimlich-unheimlichen Vorgänge nicht unerhebliche Kollateralschäden.

Beginnen müssten sie nämlich schon mit Alt-Bürgermeister Voscherau und seinen Tricksereien bei der allerersten Airbus-Startbahn-Verlängerung Anfang der 90er Jahre. Damals, so erklärte dieser offenherzig in trauter Runde – nämlich auf der Mitgliederversammlung des Industrieverbands Hamburg (IVH) am 10. Juni 1999 in eben diesem Airbus-Werk – ausweislich seines vom IVH noch heute auf Anforderung gern übersandten Redemanuskripts, „mußten die Bauarbeiten [an der Rollbahn, die Red.] zunächst als Zufahrt zu einer neuen Lackierhalle deklariert beginnen, um Zeitverlust zu vermeiden, der den Erstflug unmöglich gemacht hätte“.

Was einmal funktioniert hat, kann im Wiederholungsfall mit Bruchlandung enden.