piwik no script img

Archiv-Artikel

Wenn aus der alten WG mal eben eine BG wird

Wer mit Arbeitslosen zusammenlebt, muss aufpassen: Stufen die Behörden eine Wohngemeinschaft als Bedarfsgemeinschaft ein, muss der Erwerbstätige zahlen. Schon heute sind Kontrollen gang und gäbe

Viele Berliner Anspruchsberechtigte haben ihren Antrag auf Arbeitslosengeld II noch nicht abgegeben. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren: Manche warten damit vielleicht bis auf den letzten Drücker, weil sie so ihren Protest gegen die umstrittene Arbeitsmarktreform der rot-grünen Bundesregierung andeuten wollen. Anderen ist das Ganze vielleicht zu kompliziert, und manch einer wird noch nicht so genau wissen, wie er sich (und ihm nahe stehende Menschen) den Behörden präsentieren will. Ist doch die so genannte Bedarfsgemeinschaft ein zentraler Begriff der Reform. Damit werden Menschen verpflichtet, für den Unterhalt ihnen nahe stehender Personen aufzukommen – damit der Staat weniger zahlen muss.

Was aber ist eine Bedarfsgemeinschaft? In einer Stadt wie Berlin, in der es viele Wohngemeinschaften gibt, dürfte diese Frage in Zukunft bedeutsam werden – geht es doch um bares Geld für die WG-Mitglieder. Bekannt ist die Problematik schon aus der Sozialhilfe, durch Hartz IV erweitert sich der betroffene Personenkreis noch einmal beträchtlich.

Bedarfsgemeinschaften sind zunächst Familien beziehungsweise Ehepaare. Auch eheähnliche Gemeinschaften zählen dazu, ebenfalls eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Was aber ist mit einer Zweierwohngemeinschaft? Sind die beiden ein Pärchen, müssen sie füreinander einstehen, sind sie keines, muss der Staat für den Arbeitslosen zahlen. Aber nach welchen Kriterien lässt sich beurteilen, ob wirklich eine Partnerschaft besteht?

Schlechte Karten haben Paare, die zusammenleben und gemeinsam ein oder mehrere Kinder haben. Für sie dürfte es schwierig werden, das Arbeitsamt vom denkbaren, aber unwahrscheinlichen Fall zu überzeugen, keine Bedarfsgemeinschaft zu sein. Auch wenn Vater, Mutter und Kind in einer größeren Wohngemeinschaft leben und gemeinsam gemeldet sind, wird die Behörde von einer Bedarfsgemeinschaft ausgehen.

Auch wer zu zweit ohne Kinder zusammenwohnt, ist noch nicht aus dem Schneider. Gibt es ein gemeinsames Konto, Auto oder Bett, sind auch dies Indizien für eine Bedarfsgemeinschaft. Eine reine Zweckwohngemeinschaft zeichnet sich idealerweise dadurch aus: Jeder verfügt über mindestens ein eigenes, abschließbares Zimmer, statt eines gemeinsamen Mietvertrags existiert ein Haupt- und ein Untermietverhältnis. Getrennte Fächer im Kühlschrank und getrennte Einkaufskassen runden das Bild der Zweck-WG ab. Und auch wer mit jemandem zusammenwohnt, aber offiziell anderweitig liiert ist, kann seine WG sicherlich leichter als Zweck-WG deklarieren.

In der Übergangszeit zum neuen Arbeitslosengeld II haben die Arbeits- und Sozialämter zwar alle Hände voll zu tun. Dennoch kann man davon ausgehen, dass unklare Lebensverhältnisse der Antragsteller im Laufe des nächsten Jahres überprüft werden. Sozialhilfeempfänger bekommen schließlich schon heute Besuch von geschulten Mitarbeitern, die auf der Suche nach „Sozialhilfemissbrauch“ sind. RICHARD ROTHER