„Karl! Karl! Is that true?“

Einen beispiellosen Ansturm erlebten gestern deutsche H&M-Filialen. Karl Lagerfeld gibt sich exklusiv die Ehre, „solange der Vorrat reicht“. Die Botschaft ist klar: Geiz bleibt geil, aber Glamour ist geiler

von ARNO FRANK

Es ist eine Grube voller glücklicher Schlangen. Geduldig winden sie sich durch das Erdgeschoss der H&M-Filiale in der Berliner Friedrichstraße zu den Umkleidekabinen. In der feuchten Wärme einer babylonisch parfümierten Luft überplaudern die Kundinnen ihre fröhliche Hysterie, Schulterpolster an Schulterpolster. Es brummt der Laden, es klingelt die Kasse, es herrscht der Ausnahmezustand.

Eine junge Mutter hat sich mit ihrem Kinderwagen hier hineingewagt. Nun ist sie eingekeilt, die Arme, zugeparkt in der Hosenabteilung: „Wissen Sie, ob’s die Kollektion auch für Männer gibt?“, fragt sie mit leuchtenden Augen. Klar, aber nur für sehr schlanke Männer. Sie nickt, ganz die Kennerin: „Aha, wie immer.“

Na ja, nicht ganz. Denn einen solchen Ansturm hat es in der Geschichte der schwedischen Modekette Hennes & Mauritz noch nicht gegeben. In Hamburg sollen innerhalb von fünf Minuten die Regale zum ersten Mal leer geräumt worden sein. Um sie wieder aufzufüllen, hat die H&M-Geschäftsleitung sogar Beschäftigte aus der Werbeabteilung in die 120 Filialen delegiert, die für den exklusiven Verkauf der limitierten Kollektion von Karl Lagerfeld ausgewählt wurden. Das ist nur gerecht.

Denn das Spektakel, das gestern in 500 der weltweit über 1.000 und in allein 7 von 22 Berliner Boutiquen über die Bühne ging, ist das Ergebnis einer beispiellosen Werbekampagne für die Kollektion „Karl Lagerfeld für H&M“.

Zwar soll der Couturier „gigantische Summen“ verlangt haben. Aber bei einem jährlichen Budget von 100 Millionen Euro blieben wohl noch ein paar Cent, um diese krude Kollaboration entsprechend zu bewerben. Mit einer Präsentation im postmodernen Pariser Centre Pompidou. Mit einem Plakat von 1.500 Quadratmetern in Berlin. Mit einem Werbespot, der die Allianz aus Haute Couture und Grabbeltisch als unerhörte Grenzüberschreitung inszeniert („Karl! Karl! Is that true? “). Und mit einer einzigen, frohen Botschaft: Karl Lagerfeld selbst. Denn siehe, ER ist herabgestiegen, um für unsere Sünden zu schneidern.

In der Filiale Friedrichstraße hat sich die Rolltreppe in den zweiten Stock in einen stairway to heaven verwandelt. So entschweben wir allem Irdischen in eine höhere Sphäre, wo uns schon der Meister erwartet, mit Puderzopf und Halskrause, in neckischer Heckansicht fotografiert und überlebensgroß auf transparenten Stoff gespannt.

Hier gibt es keine Schlangen mehr, nur noch turbulente Trauben – wie am Merchandising-Stand nach einem guten Popkonzert. Hier tragen alle Verkäuferinnen T-Shirts mit dem aufgedruckten Konterfei des Stars, als wär’s der Merchandising-Stand bei einem Popkonzert. Tatsächlich tragen alle Verkäuferinnen T-Shirts mit aufgedrucktem Konterfei des Designers, der „sonst ja nur für Chanel entwirft“, wie eine Dame ihren männlichen Begleiter belehrt.

Das stimmt zwar nicht, weil Lagerfeld zwischen 1987 und 1995 Konfektionsware für Steilmann und 1996 eine Kollektion für den „Quelle“-Katalog produzierte. Wenn aber das angeblich Geniale im Gewöhnlichen sich feiert, dann ist für solche Spitzfindigkeiten keine Zeit. Dann wollen wir mitfeiern, dann müssen wir zugreifen, dann soll die Aura des Erlesenen ein wenig abstrahlen auf uns Sterbliche.

Deshalb muss das neue Klamotten-Maskottchen im Werbespot auch über den Unterschied zwischen „billig“ und „günstig“ schwadronieren. Weil der Nimbus des Erlesenen keineswegs in die eher unspektakulären Klamotten eingewebt ist, sondern rein muss in die Köpfe der Kunden.

Ein Hemd von Karl Lagerfeld würden die meisten auch dann nicht erkennen, wenn sie es schon drei Tage getragen hätten. Aber Lagerfeld selbst ist als Marke unverkennbar – eine glamouröse Diva, geschwätzige Sphinx, eine Ikone von eigenen Gnaden, die ihre Mesalliance mit H&M maliziös als schmutzigen kleinen Seitensprung beschreibt.

Und doch hat es einen ganze banalen Grund, dass die Aktion schon am ersten Tag laut Auskunft der H&M-Strategen so „bombastisch“, „gigantisch“, „bestens“ und „überwältigend“ lief: Geiz ist geil, gewiss, aber Glamour ist geiler. Beides zusammen aber ist ein unwiderstehliches Heilsversprechen, weil es die Zwänge der Konsumgesellschaft aufhebt und die Kluft zwischen den Klassen „für kurze Zeit“ zu überbrücken scheint.

Nur der Mutter im Erdgeschoss nutzt nichts. Sie kommt mit dem Kinderwagen einfach nicht die Rolltreppe hoch.