: Hardcore-Psychedelia
Es gibt immer einen Weg aus dem Punk-Ghetto. The Mars Volta kennen sogar mehrere
„Sein Körper war übersät mit Schnittnarben, und ein paar engere Freunde nannten ihn Frankenstein. Er hatte Spuren großer Schnittwunden am Hals, dazu überall Striemen, Blutergüsse und Beulen, und die Haut an seinem Arm war runzlig von all dem Rattengift, das er sich gespritzt hatte.“ Klingt nach einer beeindruckenden Gestalt, der hier beschriebene Julio Venegas, konzeptstiftender Geist des Debütalbums „De-loused in the Comatorium“ der texanischen Band The Mars Volta. Venegas, der sich 1996 endgültig umbrachte, war ein Künstler aus El Paso und Freund von Cedric Bixler Zavala, dem Sänger der Band.
Zavalas fiktionalisierte die letzten Tage und Stunden seines Freundes in einer Kurzgeschichte, in der der Protagonist durch ein morphiuminduziertes Koma stolpert und dabei allerhand Grenzgängerisches erlebt. Diese Geschichte wurde dann von The Mars Volta vertont.
Kein Wunder, dass die Band sich nicht lumpen lässt, wenn es um ein eindrucksvolles Konzept für ihr Album geht. Von ihrem Debüt wurde schließlich Großes erwartet, bevor es überhaupt erschienen war. Ihre Vorgängerband At The Drive-In, die neue große Hoffnung des Punk, hatte sich bei einstellendem Erfolg aufgelöst. Neben der Emocore-Band Sparta entstanden daraus die – musikalisch interessanteren – psychedelischen Hardcoristen Mars Volta.
Bei Erscheinen der Platte gingen die Meinungen trotzdem weit auseinander. Die einen beklagten eine ambitionierte Blutleerheit und eitle Klangmanipulationen, die anderen sahen die intelligenten Elemente von At The Drive-In weiterentwickelt. Miles Davis spielt für Mars Volta ebenso eine Rolle wie Ambient. Sogar zwischen den Erbfeinden Prog-Rock und Punk haben sie eine Brücke gebaut. Ob man so viel Ambition anstrengend findet oder nicht – live ist die Band dank ihres Improvisationstalents ein großes Spektakel. Und die Show von Afroträger Zavala ist auch nicht schlecht: Der springt einem mit Amphetaminen gefütterten Zitteraal gleich auf der Bühne umher.
Mittlerweile gilt seine leidenschaftliche Widmung nicht nur Julio Venegas. Auch der für die Soundeffekte auf „De-loused in the Comatorium“ verantwortliche Jeremy Ward wurde kurz vor Veröffentlichung der Platte tot aufgefunden. STEPHANIE GRIMM