: Letzter Salut für Arafat
Tausende Palästinenser stürmen die Grabstätte in Ramallah, Soldaten feuern in die Luft. Tumulte begleiten die Beerdigung des Präsidenten
AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL
Es war ein Abschied voll Emotionen: Die Sicherheitskräfte hatten bei der Beerdigung Jassir Arafats in Ramallah keinerlei Chance, die aufgeregte Menge unter Kontrolle zu bringen. Als die beiden ägyptischen Hubschrauber landeten – einer mit dem Sarg Arafats, der zweite mit den zentralen PLO-Führern an Bord –, wurden Schüsse aus Maschinengewehren in die Luft abgegeben, die Trauernden stürmten auf die Helikopter zu.
Minutenlang versuchte der palästinensische Minister Saeb Erekat hinter der noch halb geschlossenen Helikoptertür, die Menge zu beruhigen und zum Zurückweichen zu bewegen. Kein Vergleich mit der gesitteten Bestattungszeremonie des ägyptischen Militärs wenige Stunden zuvor in Kairo. In Ramallah erwies das Volk seinem „Vater der Nation“ die letzte Ehre. Vor der Mukataa, dem Amtssitz, den Arafat fast drei Jahre lang nicht verließ, ließen die Trauernden ihren Gefühlen freien Lauf.
Als die Polizisten schließlich einen Korridor schafften, legte Minister Erekat selbst Hand an, um den Sarg zur Grabstätte zu tragen. Die Menschen drängten sich immer enger heran, bis schließlich einige Soldaten von den Emotionen mitgerissen wurden, auf den Sarg sprangen und die Menge zusätzlich anfeuerten. Der Sarg wurde buchstäblich von Hand zu Hand gereicht, jemand riss die Flagge herunter, immer wieder fielen Schüsse. Gut eine Stunde dauerte es, bis die Grabstätte endlich erreicht war.
Der Leichnam Arafats hätte eigentlich noch einige Zeit aufgebahrt werden sollen, aber das Programm wurde wegen der chaotischen Lage abgekürzt. „Er wurde wegen der aufgebrachten Menschen vorzeitig beigesetzt, wir hatten keine andere Wahl“, sagte ein Vertreter der Palästinenser.
Sobald es die politische Situation erlaubt, soll der Leichnam nach Jerusalem gebracht werden. Arafat hatte wiederholt den Wunsch geäußert, auf dem Tempelberg begraben zu werden.
Die Israelis hatten Jerusalem als letzten Ruheplatz für Jassir Arafat ausgeschlossen. Verständlich, wenn man die Bilder der Beerdigung in Ramallah sieht. Derartige Szenarien wollten die israelischen Sicherheitsdienste nicht in Jerusalem erleben müssen. Israels Polizei und die Armee stand seit Donnerstag in höchster Alarmbereitschaft. Über die Palästinensergebiete wurden Ausreisesperren verhängt, nur Palästinenser mit Sondergenehmigungen durften aus dem Gaza-Streifen nach Westjordanland reisen. Zu einem ersten Zwischenfall, allerdings ohne Verletzte, kam es gestern Morgen in Jerusalem, als palästinensische Jugendliche Steine auf Polizisten warfen, erbost darüber, dass Israel zum letzten Ramadan-Freitagsgebet nur Männer über 45 Jahre, die im Besitz eines Jerusalemer Ausweises sind, auf den Tempelberg ließ. Frauen durften ohne Altersbeschränkung in die Moschee. Insgesamt kamen nur etwa 10.000 Menschen zum Gebet, vergangene Woche waren es 15-mal so viele.
Entgegen den Warnungen des inländischen Nachrichtendienstes Shin Beth, es bestünden Drohungen gegenüber israelischen Teilnehmern an der Beerdigung, reisten rund einhundert Israelis nach Ramallah, darunter der Menschenrechtsaktivist Uri Avnery. Ihn verbindet mit Arafat seit 20 Jahren eine Freundschaft. Erstmals traf er sich mit ihm 1982 in dem von israelischen Truppen belagerten Beirut. Mit dem Ableben Arafats habe Israel die Chance verpasst, den Nahen Osten zu befrieden, sagte Avnery. Arafat sei der Einzige, der „sein Volk von den Kompromissen, die ein Friedensabkommen beiden Seiten abverlangt, hätte überzeugen können“.
In Jerusalem versammelten sich einige Dutzend Demonstranten aus dem extrem rechten israelischen Lager, um an einer Kreuzung den Tod Arafats zu feiern. Mindestens vier wurden vorübergehend festgenommen. Insgesamt blieben die israelischen Reaktionen eher verhalten. Auf offizieller Ebene wurde einzig die Frage der Gesten guten Willens gegenüber der neuen Führung diskutiert. Möglich wären Reiseerleichterungen und eine Gefangenenamnestie.
Unterdessen bleibt die Frage nach der Ursache für den Tod Arafats weiter unbeantwortet. Arafats langjähriger Leibarzt Aschraf al-Kurdi forderte eine Autopsie. Allein die Öffnung des toten Körpers könne Aufschluss geben, meinte Kurdi, der den Verdacht hegt, dass „etwas nicht stimmt“. Der im Exil lebende Hamas-Chef Chaled Maschal, der vor sieben Jahren selbst Opfer eines israelischen Vergiftungsversuchs geworden war, beschuldigte die israelische Regierung des Mordes. Der palästinensische Außenminister Nabil Schaat hatte hingegen den unter Palästinensern bestehenden Verdacht, Arafat sei von Israel vergiftet worden, öffentlich ausgeschlossen.