: Vom Sockel des Gedenkens steigen
Konzentration unter dem Kopfhörer: Ohne Übersetzung geht es nicht. Die 17. Jüdischen Kulturtage in Berlin fragten nach einem neuem Umgang mit dem Jiddischen. Eine sterbende Sprache, die in der Kunst als Zitat des Vergangenen ebenso funktioniert wie im selbstironischen Spiel mit Stereotypen
von JAN-HENDRIK WULF
„Du kannst nicht wiedererwecken, was gestorben ist. Trotz aller Gesundbetung ist Jiddisch eine tote Sprache. Es wäre unauthentisch, aufgepfropft. Eine Sprache ist an ihren Lebensraum gebunden. Dieser Raum existiert nicht mehr. Jiddisch ist heute Teil des Bildungsschatzes, wie Latein oder Griechisch.“ Der Historiker Michael Wolffsohn gibt sich im Podiumgespräch mit Lea Rosh keinen Illusionen hin.
Unter dem Motto „Jiddisch Land“ unternehmen die 17. Jüdischen Kulturtage in Berlin eine Bestandsaufnahme des schwierigen Verhältnisses zu einer fast ausgestorbenen Sprache. Heute ist Jiddisch nur noch in ultraorthodoxen Enklaven und in Altersheimen zu hören. Da erscheint es fast als Widerspruch, dass bei einem Blick in Vorlesungsverzeichnisse und Veranstaltungskalender das Jiddische hierzulande eine ungeahnte Renaissance erlebt. Der Hass von einst hat sich in wundersame Liebe verwandelt. Zum weisen Sprachwitz als Waffe der Unterlegenen, zur melancholisch-lebensbejahenden Musik des Schtetls. Böse Zungen sprechen von einer endemischen Klezmeritis mit unangenehm philosemitischem Beigeschmack.
Wieweit der Versuch scheitern muss, das Jiddische als lebendige Sprache zu vermitteln, zeigte sich allerdings schon in der Eröffnungsveranstaltung der Kulturtage. Im Jüdischen Gemeindehaus gibt das Jüdische Staatstheater Bukarest mit Jakob Gordins „Kreutzer-Sonate“ einen Einblick in die bis heute gepflegte jiddische Theatertradition Osteuropas. Wie der Titel verspricht, dreht sich diese Adaption von Tolstois Alterswerk um Liebesleid, Musik und Unterwegssein – verlagert in eine russisch-jüdische Emigrantenfamilie in New York. Ohne deutsche Simultanübersetzung wäre der heutige Zuschauer hier allerdings völlig farlojren. An einer Hand abzuzählen sind die wenigen, die der jiddischen Darbietung mit bloßem Ohr folgen können: „Als Kind in Russland habe ich von meiner Mutter Jiddisch gelernt. Heute spreche ich es mit niemandem mehr“, erklärt eine ältere Dame. Nirgendwo erscheint jiddisches Theater überlebter als vor einem Publikum unter Kopfhörern, das der Handlung nur mühsam folgen kann und darüber jeglichen Sprachwitz verpasst.
Sentimentale Reminiszenz – das ist nicht die Sache der Berliner Politkünstlergruppe „Meshulash“ (hebr. Dreieck). Das spricht sich schon in ihrem Namen aus, der an KZ-Abzeichen und halben Davidstern erinnert. Die Meshulashim bekennen sich zu einer kosmopolitisch orientierten Diasporakunst. Durch die so oft von Schuld und Verklemmtheit bestimmten Zuschreibungen ihrer nichtjüdischen Zeitgenossen fühlen sie sich schlicht und ergreifend falsch adressiert. „Wir wollen auf gleicher Augenhöhe reden. Aber man stellt uns auf einen Sockel und will uns dann nicht mehr zuhören“, beklagt die Künstlerin Anna Adam den unerquicklichen Diskurs. In der Villa Elisabeth ist sie mit dem „Feinkost Adam Phrasendrescher“ vertreten – einer Was-passiert-dann-Maschine, an der befangene Zeitgenossen das Gespräch mit Juden üben können. Passend zum Anlass hat der ansonsten hochdeutsch operierende Apparillo den Namen „Sog she mir“ erhalten. Da lacht der nichtjüdische Besucher verständnisvoll. Anderen ist Adams Humor zuweilen schwerer vermittelbar. Für eine mit Mazzen dekorierte Vogelsukka („wenn Juden einen Vogel haben und wenn dieser Vogel religiös erzogen wurde“) im Jüdischen Museum Franken fing sie sich vergangenes Jahr eine Klage wegen Antisemitismus ein.
Mit wenigen Ausnahmen lassen sich die Bilder und Objekte der Meshulashim als eine auf Provokation angelegte Konzeptkunst verstehen. Zu sehen ist jede Menge nacktes Fleisch. Für sich genommen erscheint diese Bildersprache rückwärtig angelehnt an den Expressionismus. Sie soll aber einen Kontrapunkt zu den in der deutschen Gedenkkultur allgegenwärtigen Leichenbergen setzen, die der Maler Gabriel Heimler als „Schoah-Pornografie“ bezeichnet. Für die Kulturtage hat er eine „Allegorie des jiddischen Schimpfens“ gemalt: Eine Frau auf dem Klosett mit unschuldig nach oben schweifendem Blick und ein deutscher Uniformierter in Demutshaltung sind als maliziöser Kommentar auf die deutsche Gedenkkultur gemeint. Zwischen all den Anfechtungen ein nackter Jude mit eingekrümmtem Potz. Für diese unsentimentalen Enkel der Schoah ist Jiddisch keine unschuldige Opfersprache – aber eben auch nicht mehr als das ausdruckstarke Versatzstück einer vergangenen Tradition.
Ein Eindruck, der sich im Gespräch mit den Redakteuren des New Yorker Heeb-Magazins weiter verfestigt. Im Rahmen einer von den Kulturtagen organisierten Release-Party stellen sie in der Villa Elisabeth die vierte Ausgabe ihres Magazins vor: „Jiddisch ist einfach Teil der normalen amerikanischen Umgangssprache geworden. Sogar koreanische Einwanderer gebrauchen jiddische Ausdrücke, ohne es zu wissen.“ Vor einer Generation war „heeb“ ein Schimpfwort. In der bunten, etwas überladenen Aufmachung eines Fanzines werden genüsslich und selbstironisch alle denkbaren jüdischen Stereotypen und Minderwertigkeitskomplexe ausgebreitet: „Alles, was du je über Juden gehört hast, stimmt.“ Leichtigkeit hat ihre Grenzen, denn zumindest dieser Satz klingt, in Berlin gesagt, einfach falsch. Als Zielgruppe des seit 2002 in einer Auflage von 20.000 erscheinenden Magazins wurde eine junge, urbane, links-anarchistische, säkulare Leserschaft ausgemacht. Heeb versteht sich als Forum all jener, die sich ohne allzu einengenden Traditions- und Gruppenzwang als Juden fühlen wollen. Dabei setzen die Macher von Heeb durchaus auch auf nichtjüdische Leser: „Wenn du es schaffst, jemanden zum Lachen zu bringen, kannst du ihm alles erzählen.“
Zur Heeb-Party fanden sich am Sonnabend in der Villa Elisabeth über 500 Besucher ein. Auf der Bühne verfremdet die israelische Projektkünstlerin Tami Ben Tor traditionelle Lieder zu Electroyiddish. Die Sprache kennt sie nur von alten Schallplatten. „Man weiß nicht recht, was daran noch besonders sein soll“, fasst eine Besucherin zusammen. Vielleicht nur, dass die Partymusik das Pfeifen der Metalldetektoren am Eingang übertönt.
In den lebenden Umgangssprachen hat das Jiddische als bruchstückhaftes Zitat einer untergegangenen Tradition seinen bescheidenen Platz gefunden. Die Wiederbelebung Berlins als ein Zentrum für jüdische Kultur, das haben die 17. Kulturtage gezeigt, bedarf dagegen nicht unbedingt einer Renaissance des Jiddischen.