Wehe dem, der Symbole sieht!

Sebastian Hartmann findet für Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ im Malersaal des Schauspielhauses runde, aberwitzige Bilder

Dieses Stück ist eine Vorrede. Es ist nicht die Vorrede zu einem Stück, sondern die Vorrede zu dem, was Sie tun werden. Das Stück trägt den Titel „Publikumsbeschimpfung“, es wendet sich direkt an Sie, lieber Theaterbesucher. Im Malersaal von Sebastian Hartmann inszeniert, sehen Sie, wie das „Sprechstück“ von Peter Handke in ein „Schauspielstück“ übersetzt wird.

Premiere war am Sonnabend. Auf der Bühne werden Sie keine Bühne sehen, die eine Funktion hat. Sie werden einen Spiegel sehen, der nicht nur Spiegel ist. Sie sehen Lichtstreifen, blau, rot, grün, gelb, die wie eine Jukebox blinken, jedesmal, wenn Musik erklingt. Von allem trennt Sie ein Gitterzaun am Bühnenrand, die vierte Wand. Sie werden keine Schauspieler sehen, sondern Menschen, die ihre Strafe absitzen: Schauspieler sein zu müssen, lebenslänglich, bis ins Intimste aufeinander eingespielt. Die werden gebückt auf die Bühne kommen und wie Affen bettelnd am Zaun stehen. Sie werden schreien und flüstern, sie werden sich durchs Gitter zwängen und steckenbleiben.

Der Regisseur macht mit dem Stück, was er will. Vom Handke-Text hat Hartmann wenig übergelassen. Ein Brocken hier, ein paar Brocken dort. Zwischendurch werden die Schauspieler sich der Lücken zwischen den Worten bemächtigen. Sie werden sie mit Slapstick, Playback, Nacktszenen, Nebelmaschine und Zaubertricks füllen. Alles dekonstruktivistische Effekthascherei – Maschinerie der Bühne.

Sie aber, lieber Zuschauer, werden darüber lachen, weil jeder Gag kommt, den Sie irgendwann erwarten. Guido Lambrecht läuft gegen die Wand, Thomas Lawinsky fällt ins Wasser, Felix Goeser rutscht aus und Peter René Lüdicke bleibt im Zaun stecken. Der Text ist ein Spielball: „Herr Lüdicke, wie wär‘s denn mal mit dem Handke-Text?!“

In der Halbzeit werden Sie sich fragen, ob Sie gehen sollen. Dreißig ultra-fesselnde, wortlose Minuten später – in denen Sie verfolgen, wie Thomas Lawinsky einen Spiegel auf die Bühne trägt, ihn Ihnen kurz vorhält, woraufhin sich alle vier Schauspieler Mehl aufs Haupt schütten – werden Sie geblieben sein!

Hartmann hält die Balance zwischen der tautologischen Interpretationsmasse seiner Bilder und dem aberwitzigen Ritt von Lambrecht & Co. über die Handlungsleere. Die größte Beschimpfung des Publikums ist die Langeweile. Zu sehen, wie sie misslingt, ist ein Genuss!

Christian T. Schön

nächste Vorstellungen: 16., 26.11., 20 Uhr, Malersaal