: Schutz für alle, aber nur ein bisschen
Rot-grüner Kompromiss beim Antidiskriminierungsgesetz. Auch Homosexuelle, Muslime, Alte und Behinderte dürfen bei Vertragsabschlüssen nicht mehr benachteiligt werden. Die Klausel gilt nur für „Massengeschäfte ohne Ansehen der Person“
VON CHRISTIAN RATH
Es soll gut aussehen und in der Praxis möglichst wenig Ärger machen. Nach jahrelangem Streit haben sich SPD, Grüne und Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) bei einem Spitzengespräch am Freitagabend auf ein Antidiskriminierungsgesetz geeinigt. Der interne Entwurf vom 4. November, der dem Treffen vom Wochenende zugrunde lag, liegt der taz vor.
Auf Wunsch der Grünen geht das deutsche Gesetz nun über die Vorgaben der Europäischen Union hinaus. Nach EU-Willen wäre bei privaten Verkäufen und Dienstleistungen nur die Diskriminierung wegen Rasse und ethnischer Herkunft verboten gewesen. Jetzt erfasst das Gesetz noch sechs weitere Merkmale, die nach den EU-Richtlinien eigentlich nur im Arbeitsleben zu beachten gewesen wären: Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter und sexuelle Identität.
Zypries hat allerdings durchgesetzt, dass bei den sechs Zusatzmerkmalen nur ein stark eingeschränkter Schutz gilt. Denn hier sind nicht alle privaten Verträge erfasst, sondern nur „Massengeschäfte ohne Ansehen der Person“ oder Verträge, bei denen die Auswahl des Partners „nachrangige Bedeutung“ hat.
Der umfassende Schutz gilt also für Kaufhäuser, Restaurants und ausdrücklich auch für Versicherungen. Ausgeschlossen ist eine umfassende Diskriminierungskontrolle dagegen bei all jenen Geschäften, bei denen der Vertragspartner üblicherweise genauer angeschaut wird. Das gilt etwa für die Vergabe von Krediten. Auf diese Weise will Zypries die individuelle Vertragsfreiheit wahren.
Zwischen den Koalitionspartnern ist allerdings noch strittig, ob auch die Vermietung von Wohnraum durch große Wohnungsgesellschaften zu den überprüfbaren Massengeschäften gehört. Das Justizministerium ist dagegen, die Grünen dafür. Wegen solcher praktisch sehr wichtigen Fragen wird auch über die Gesetzesbegründung erbittert gefeilscht. Das nächste Treffen der zuständigen Koalitionsrunde soll in der übernächsten Woche stattfinden.
Noch in diesem Jahr sollen die Verhandlungen abgeschlossen werden. Die Frist zur Umsetzung von zwei der drei zugrunde liegenden EU-Richtlinien lief schon im Vorjahr ab. Inzwischen hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet.
Durch den Kompromiss haben nun sowohl Grüne als auch SPD ihr Gesicht gewahrt. „Wir hätten kein Gesetz akzeptiert, bei dem manche diskriminiert werden dürfen und andere nicht“, erklärte Volker Beck die Hartnäckigkeit der Grünen.
Jetzt bekommen Homosexuelle und Muslime, Alte und Behinderte im Privatverkehr wenigstens einen Basisschutz. Zypries und die SPD wollten es dagegen vermeiden, Angriffsflächen für Hauseigentümer, Kirchen, Banken oder Versicherungen zu bieten. Sie erinnerten immer wieder an die Probleme der Zypries-Vorgängerin Herta Däubler-Gmelin, die eigentlich schon in der vergangenen Wahlperiode ein Antidiskriminierungsgesetz auf den Weg bringen wollte.
Däubler-Gmelin hatte für alle acht Kriterien Schutz im Arbeitsleben und auch bei Privatgeschäften versprochen. Als jedoch der Widerstand zu groß wurde, stoppte das Kanzleramt vor der Bundestagswahl 2002 das Vorhaben.
Zypries ging das Projekt deshalb viel vorsichtiger an und wollte einfach nur die EU-Vorgaben umsetzen. Doch nun wehrten sich die Lobbys der möglichen Opfer von Diskriminierungen. Der ursprüngliche Vorstoß von Däubler-Gmelin hatte Erwartungen geweckt, die Zypries am Ende nicht mehr ignorieren konnte.
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