Schuld war die „Routinefalle“

KINDSTOD Sozialsenator Wersich legt Bericht zum Fall des toten Babys Lara vor. ASD-Mitarbeiter hatte das Kind nicht im Blick. Seine Dienststelle war überlastet

„In der Akte kommt weder die Geburt vor noch ein persönlicher Eindruck.“

VON KAIJA KUTTER

Er wolle aufklären, nicht aber in ein „Schwarzer-Peter-Spiel“ verfallen, sagte Sozialsenator Dietrich Wersich, als er gestern den zusammen mit Bezirk und Träger verfassten Bericht zum Fall Lara vorlegte. Doch der Text, den Jugendamtsleiter Uwe Riez daraufhin verlas, enthielt deutliche Fingerzeige auf den „fallzuständigen Sozialarbeiter“ der Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) in Wilhelmsburg.

Das tragische ist, dass bis zu Laras Tod am 11. März bereits eine Familienhelferin des Rauhen Hauses am Fall dran war. Das neun Monate alte Kind wog zuletzt nur noch 4,8 Kilo und litt an einer Mangelerscheinung, die der „ärztlichen Abklärung bedurfte“. Doch Lara war nicht beim Arzt. Die Mitarbeiterin sei in dem Bemühen, Vertrauen zu der 18-Jährigen Mutter aufzubauen, in eine „gefährliche Beziehungsfalle“ geraten, erklärte Rauhes Haus-Chef Friedemann Green. Künftig will der kirchliche Träger in Mutter-Kind-Konstellationen das „Vier-Augen-Prinzip“ einführen, sprich zwei Mitarbeiter schicken.

Doch auch die ASD-Wilhelmsburg kümmerten sich nicht optimal. Als Laras Mutter mit 17 schwanger war, sagte sie dem dortigen Sozialarbeiter, sie wünsche sich einen Platz im betreuten Wohnen. Sie bekam nur eine Liste mit Adressen. „Das war nicht ausreichend. Die Mutter hätte konkreter an eine Mutter-Kind-Einrichtung herangeführt werden müssen“, sagt Riez. Daraufhin wandte sich das Mädchen an die ASD-Süderelbe, die einen Hilfeplan für sie und das Ungeborene erstellten. Doch im Mai 2008 geht der Fall zurück an den Wilhelmsburger ASD’ler. „Es fällt auf, dass das Kind Lara in der weiteren Fallbearbeitung so gut wie nicht vorkommt“, heißt es. „In der Akte wird weder die Geburt erwähnt, noch ein persönlicher Eindruck von dem Kontakt mit der jungen Mutter und dem Baby geschildert.“ Der Mitarbeiter sei unter Umständen in die „Routinefalle“ geraten und habe auch der ebenfalls routinierten Helferin „unkritisch vertraut“. Auch sei „nicht nachvollziehbar“, warum im September im Hilfeplan der Schutz des Kindeswohls entfällt. Und als im Dezember die Schwester der Mutter bei der Kinderschutz-Hotline eine Meldung macht, verlässt sich der ASDler – nach einem vergeblichen Hausbesuch – auf Telefonate mit der Großmutter und der Teamleiterin der Familienhilfe, dass alles in Ordnung sei. Dabei musste er eine „eigene Gefährdungseinschätzung“ treffen.

Mitte-Bezirkschef Markus Schreiber nahm den inzwischen erkrankten Mitarbeiter in Schutz. Es habe in der Wilhelmsburger Dienststelle im Herbst zu wenig Personal und eine „kollektive Überlastungsanzeige“ gegeben. Inzwischen habe Wilhelmsburg fünf Stellen mehr erhalten, von denen aber vier wegen schlechter Bezahlung unbesetzt seien. Hinzu komme die Fluktuation: „Die Hälfte sind unerfahrene Mitarbeiter.“

Wersich schloss nicht aus, sich für eine bessere Bezahlung einzusetzen, merkte aber an, dass mitunter „Unerfahrene Kräfte sicherer arbeiten als erfahrene.“