Bevor die Ohnmacht einsetzte

BEFREIUNG Sollte in der Wirtschaftskrise nicht die Stunde der Linken schlagen? Tatsächlich steht sie unter Druck. Die Reihe „Revolutionen aus dem Off“ im Zeughaus-Kino bietet historisches Material zu einer Analyse der Lage

Um 1968 war die Linke genauso zerrissen wie heute. Aber wenigstens hatte sie noch ein großes Reservoir an Geschichten der Befreiung – und das Kino erzählte viele davon

VON BERT REBHANDL

Seit die Weltwirtschaft auf der globalen Jagd nach hohen Renditen in die Krise gestürzt ist, ist immer wieder auch eine Frage zu hören: Wo bleibt eigentlich die Linke? Warum ist von den politischen Kräften so wenig zu hören, denen die Probleme des Kapitalismus eigentlich in die Hände spielen sollten? Tatsächlich deutet sich an, dass die aktuelle Situation die Linke wieder an den Punkt alter Zerreißproben zurückführen könnte. Zwischen reformerischer Partizipation und destruktiver Systemüberwindung, zwischen Multitude und autonomem Block gibt es ein breites Spektrum von Optionen. Wenn in Kreuzberg ein Auto brennt – ist das schon der Vorschein der Revolution oder doch eher Psychohygiene für Wohlstandsverweigerer?

Die Linke steht unter Druck, dabei sollte jetzt doch die Stunde der Analyse schlagen. Passenderweise beginnt im Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums ein Filmprogramm, das für diese Analyse jede Menge relevanten Materials enthält. „Revolutionen aus dem Off – Eine Retrospektive des Dritten Kinos im Aufbruch“ geht noch einmal zurück in die historische Situation, die man durchaus als eine der Geburtsstunden der Globalisierung bezeichnen könnte. Die 34 Filme aus 14 Ländern der damals noch stolz so genannten Dritten Welt sind alle zwischen 1955 und 1977 entstanden – sie stammen also aus der Periode, die durch das Ende der Kolonialherrschaft und die Dominanz der beiden ideologischen Blöcke charakterisiert war. Die Freiheit der neuen Länder des Südens erwies sich als vergiftet, der Zwang, sich zwischen USA und UdSSR für ein „System“ zu entscheiden, war so groß, dass alle „dritten Wege“ dazwischen scheitern mussten.

Das von Stefan Eichinger, Lukas Förster, Sarah Klaue, Melanie Marx, Nikolaus Perneczky und Cecilia Valenti kuratierte Programm beginnt mit Kidlat Tahimiks „Der parfümierte Alptraum“ (1977) und damit mit einem unabhängig produzierten Beitrag aus den Philippinen, einem Land, in dem das Diktatorenpaar Marcos ein Nationalkino von oben einführen wollte. Kidlat Tahimik, der für die OECD arbeitete, bevor er mit einfachsten Mitteln zu drehen begann, entwickelte das philippinische Kino aus der Subsistenzwirtschaft heraus, die das Leben der Leute prägt. Er spielt selbst Kidlat, einen Jeepney-Fahrer, der im Schlepptau eines findigen Unternehmers nach Europa reist und in Paris und Bayern seine Erfahrungen mit der Moderne macht. Der Film zielt dabei nicht so sehr auf eine Kritik des westlichen Lebensstils, sondern auf eine Subversion der philippinischen Leitideologie des Anschlusses an diesen Lebensstil durch Konsum.

Der improvisierte Charme des Films und das komische Understatement des Helden sind zwei Formen der Entkoppelung von einer linearen Fortschrittskonzeption, die in den Siebzigerjahren (nach dem epochalen Fortschrittszeichen der Mondlandung) ohnehin erstmals an ihre Grenzen stieß. Alle Filme, die in „Revolutionen aus dem Off“ zu sehen sind, reagieren auf spezifische Situationen wie die Proteste gegen den Tokioter Flughagen Narita um 1970, die für die japanische Linke zu einer entscheidenden Erfahrung wurden („Sanrisuka“ vom Shinsuke Ogawa), die drei Jahre der Reform in Chile unter Salvador Allende (der Kollektivfilm „Wenn das Volk erwacht“) oder die von Raymundo Gleyzer dokumentierten Versuche, in Argentinien einen bewaffneten Kampf gegen die internationalen Investoren mit den Interessen der Arbeiterklasse zu vermitteln.

„Revolutionen aus dem Off“ überzeugt durch die Differenziertheit der ausgewählten filmischen Ansätze. Populäre Formen wie das philippinische Melodram „Insiang“ von Lino Brocka sind ebenso zu finden wie wenig bekannte kollektive Arbeiten aus Bolivien („Ukamau“ zeugt von den Problemen, ein indigenes Kino aus der Position von Intellektuellen zu schaffen), die afrikanischen Länder mit eigenem Kino sind gut vertreten und werden auch in dieser frühen Situation schon in ihrer Ambivalenz zwischen Autochthonie und Diaspora, kulturellen Wurzeln und der eigentlichen Hauptstadt Paris gezeigt.

Mit jedem einzelnen Beitrag kann die Schau im Zeughauskino das Verständnis der aktuellen Situation historisch vertiefen. Die Linke war um 1968 nicht weniger zerrissen als heute, sie hatte damals aber zumindest noch ein großes Reservoir an Geschichten der Befreiung, und das Produktionsmittel Kino spielte in diesen Geschichten eine große Rolle. Heute, da Geschichten der Ohnmacht dominieren, ist selbst das vielfache Scheitern der „Revolutionen aus dem Off“ ein Hoffnungszeichen.

Programm unter www.dhm.de