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Archiv-Artikel

„Wenn man ein Gesicht bekommt“

JUBILARE In Bayern mögen die Uhren anders ticken, aber darauf, dass die CSU regiert, ist stets Verlass. Und darauf, dass Gerhart Polt und die Biermösl Blosn ein Lied dagegen singen – seit nunmehr 30 Jahren!

GERHART POLT UND DIE BIERMÖSL BLOSN

Gerhart Polt: Bayerischer Kabarettist, verkörpert wie kein anderer die Zerrissenheit des bayerischen Wesens zwischen Spießertum und Anarchie. Das Besondere an seinen Sketchen ist seine Beobachtungsgabe, er spielt „fast wie im richtigen Leben“ – so auch der Titel der Fernsehserie, mit der er seit 1979 bekannt geworden ist.

■ Die Biermösl Blosn: Das sind Christoph, Hans und Michael Well, verbinden traditionelle Volksmusik mit politischen und satirischen Texten – und das musikalisch virtuos. Michael Well ist ausgebildeter Solotubist und Baritonist, Christoph Well war früher Solotrompeter bei den Münchner Philharmonikern. Der studierte Germanist Hans Well ist hauptverantwortlich für die berüchtigt bissigen Texte der Gruppe.

INTERVIEW BASCHA MIKA UND STEFAN KUZMANY

Wir treffen Gerhard Polt, Hans und Christoph Well im Berliner Ensemble in ihrer Garderobe. Sie werden hier gleich zum dritten Mal ihr Jubiläumsprogramm „30 Jahre“ spielen, zum dritten Mal vor ausverkauftem Haus. Leider fehlt Michael Well, der dritte Mann der „Biermösl Blosn“ – er ist krank. Auf dem Tisch steht eine Flasche Augustiner Export, Christoph Well hat gerade darum gebeten, dass man ihm ein Kaasbrot für nach der Vorstellung zubereitet. Überhaupt sehen die drei Männer nicht so aus, als hätten sie ein Bühnenprogramm vor sich. Eher wirkt es so, als wollten sie hier noch den ganzen Abend beisammen sitzen und später Karten spielen.

taz: 30 Jahre treten Sie jetzt miteinander auf. Und eigentlich hat sich ja nicht besonders viel verändert in Bayern in diesen 30 Jahren.

Hans Well: Es hat sich sehr viel verändert. Kaum kommt die CSU ins Wanken, kollabieren weltweit die Banken.

Christoph Well: …und wir haben schließlich die CSU unter 100 Prozent gedrückt!

Aber die CSU ist immer noch an der Macht. Wird man da nicht müde mit der Zeit?

Gerhard Polt: Das ist schwer zu sagen. Wir leben in einer stabilen Gesellschaft. Ich weiß nicht, wie das wäre, in einer labilen Gesellschaft zu leben. Das ist so wie bei einem Fisch, der in seinem fließenden Wasser schwimmt. Und wenn man einen Fisch, sagen wir mal eine Forelle, in einen Teich hineinschmeißt – das mögen die nicht. Also wir fühlen uns da im Prinzip schon wohl.

Das heißt ja, der Verlust der absoluten CSU-Mehrheit ist fast schon zu bedauern?

Gerhard Polt: Ja klar. Das ist das Zeichen einer Krise, wenn ein Biotop anfängt zu kippen. Man spricht immer vom Goldenen Zeitalter, von den goldenen Jahren – und die haben sich schon verändert. Und ob sie silberne werden oder welche aus Aluminium, das wissen wir ja alle nicht.

Hans Well: Die Zeit der Karpfen ist vielleicht vorbei.

Und das Goldene Zeitalter in Bayern war welches?

Gerhard Polt: Von bestimmten Regionen kann man schon sagen, dass sie in den letzten Jahren gewonnen haben, der Bayerische Wald zum Beispiel galt früher immer als Sibirien. Aber ich muss auch sagen, wenn man sich diese schönen und wunderbaren Gewerbegebiete überall anschaut…

Hans Well: Wobei man oft nicht mehr unterscheiden kann, was Gewerbegebiet ist und was Wohngebiet.

Gerhard Polt: Da ist ja oft praktisch ein Ort in einem Outlet vorhanden. Es ist auch nach wie vor selten, dass Skigebiete noch nicht das sind, was sie sein werden.

Hans Well: Es ist aber eindeutig unterscheidbar: das Isental ist noch keine Autobahn.

Das Isental: Seit den 70er-Jahren plant die Bayerische Staatsregierung einen neuen Abschnitt der A 94 in das landschaftlich reizvolle Isental. Dagegen protestieren die Anwohner. Und die Künstler: Anfang Mai 2008 versammelten Polt und die Wells gemeinsam mit der dortigen Bürgerinitiative 2.000 Demonstranten gegen den Ausbau der A 94. Die Zukunft des Isentals ist nach wie vor ungewiss.

Das Interview muss unterbrochen werden, der Auftritt steht unmittelbar bevor. Nach der Pause treffen wir die Künstler wieder in der Garderobe. Sie sitzen da, als hätten sie ihre Plätze nie verlassen.

Nicht nur Sie arbeiten jetzt 30 Jahre zusammen, auch die taz wird 30. Der taz wird ja gerne vorgeworfen, sie hätte als kleines, anarchisches Blatt angefangen und heute wäre sie so etabliert. Wie ist das bei Ihnen?

Gerhard Polt: Man kann Älterwerden mit Sichetablieren verwechseln – und es gibt durchaus die Möglichkeit, dass man das tut. Wenn man langsam ein Gesicht bekommt und das Gesicht relativ echt ist, also nicht vom Visagisten oder vom Schönheitschirurgen gemacht, dann ist das schon fast Luxus, den sich viele Leute nicht mehr so leisten wollen und können. Und das gilt als etabliert vielleicht. Wenn man sagt, jemand nimmt sich die Zeit zu warten, bis er das wird, was er dann ist. Das kann sein.

In Ihrem Publikum sitzt das Establishment, also auch die CSU, und findet es toll, durch den Kakao gezogen zu werden.

Hans Well: Das ist doch ein Glücksfall. Was will man mehr?

Wollen Sie das?

Gerhard Polt: Ich weiß nicht, ob da wirklich die personifizierte CSU sitzt. Was aber wahrscheinlich stimmt: bestimmte Geschichten, das Bayerisch-Klassische, musst du verstehen. Wenn du Außenstehender bist, wenn wir uns, sagen wir mal, über das Münchner Oktoberfest unterhalten, dann haben wir natürlich zu diesem Fest ein gewisses Verhältnis. Ich war mal mit einem schwedischen Ehepaar auf dem Oktoberfest und die Frau war Alkoholtherapeutin in einem großen Alkoholzentrum bei Stockholm und die sitzt dann in einem großen Bierzelt drin – die konnte es ja nicht fassen.

Kaum kommt die CSU ins Wanken, kollabieren weltweit die Banken

Die kurze Pause ist vorbei. Auch die zweite Hälfte des Programms begeistert das Publikum. Bemerkenswert ist das Remake einer alten Nummer aus „Fast wia im richtigen Leben“: Polt verkörpert den Chef einer Agentur, die gegen Zahlung eines Honorars bereit ist, für jeden beliebigen Management-Fehler die Verantwortung zu übernehmen. Früher war das der Glykol-Wein-Skandal. Heute ist es die Finanzkrise. Die Nummer ist nun bald 30 Jahre alt, wirkt aber erschreckend aktuell. Nach einer letzten Zugabe, der Schnulzen-Parodie „Wenn du mich liebst, sag: ‚Schnibbeldabu‘!“, die Gerhart Polt, in einen unglaublich verstaubten Pelzmantel gehüllt, vorträgt, treffen wir uns wieder.

Wenn Sie dazugehören wie eine Forelle ins fließende Wasser, wie grenzen Sie sich dann noch ab? Sie sind ja längst preisgekröntes Kulturgut.

Kulturgut: Gerhard Polt und die Biermösl Blosn sind vielfach ausgezeichnet worden. Sie sind unter anderem Träger des Karl-Valentin-Preises, Polt bekam den Bayerischen Literatur-Preis und den Oberbayerischen Kulturpreis. Hans Well: Das ist überhaupt kein Problem. Wir werden trotzdem nie das spielen, was das Publikum von uns erwartet, sondern immer genau das, was uns gerade im Moment Spaß macht.

Christoph Well: Also wir wissen, was wir können und was wir nicht können. Wir sind übrigens stolze Nichtbesitzer des Oberbayerischen Kulturpreises, der uns zwar von der Jury zuerkannt, von der CSU, in Koalition mit den Republikanern, aber wieder aberkannt wurde.

Es gibt einen Polt-Sketch, in dem ein Bauer eine Tirade gegen die Umweltzerstörung loslässt, er steigert sich richtig hinein – und am Schluss sagt er: „Das ist der Grund, deswegen wähle ich auch dieses Mal wieder CSU.“ Die Leute wollen keine Gewerbegebiete und keine Naturzerstörung, aber trotzdem wählen sie weiterhin die CSU. Das ist doch deprimierend.

Gerhard Polt: Wenn man eine Untersuchung machen würde, ob das Kasperl-Theater über die Jahrhunderte die Menschen revolutionärer gemacht hat oder skeptischer oder lustiger oder so, da würde ich sagen: ich glaube nicht. Und trotzdem wäre es schade, wenn es kein Kasperl-Theater mehr gäbe.

Aber was macht der Kasperl, wenn er nach der Vorstellung sieht, dass sich trotzdem einfach nichts ändert?

Christoph Well: Dann geht er heim und macht sich eine Brotzeit.

Und genau das haben die drei Künstler jetzt gleich vor: Noch in der Nacht wollen sie nach Hause fahren. Nach Hause nach Bayern. In der fernen Hauptstadt Berlin hält es sie wirklich keine Minute länger als unbedingt nötig.