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Archiv-Artikel

„Wie in einer Besserungsanstalt“

Ein-Euro-Jobs in der Praxis: Wie bei der „Hamburger Arbeit“ Arbeitssuchende sinnlos beschäftigt werden und sich wie „Vollidioten“ behandelt fühlen. Wer aussteigen will, dem drohen Sozialhilfesperre und Entzug der Lebensgrundlage

Von Marco Carini

Der Einstieg war freiwillig. Weil Marlies Möller*, Mutter zweier Kinder und arbeitslos, etwas „Sinnvolles tun und ein paar Euro hinzuverdienen wollte“, ließ sie sich in einen Ein-Euro-Job vermitteln. Das hat die 48-Jährige inzwischen bitter bereut: „Die Behandlung ist menschenunwürdig, es gibt nichts Sinnvolles zu tun und von dem Geld bleibt nichts übrig“, lautet ihr Resümee der ersten zwei Wochen.

Lieber heute als morgen würde sie wieder aussteigen, doch der Weg zurück ist ihr verbaut. „Wenn ich das schmeiße, werde ich vom Sozialamt gesperrt“, hat die Hamburgerin lernen müssen. Die Freiwilligkeit hat sich als Einbahnstraße erwiesen.

Seit zwei Wochen „arbeitet“ Möller in der Eidelstedter Betriebsstätte des Beschäftigungsträgers „Hamburger Arbeit“ (HAB) in der Fangdieckstraße. Seit zwei Wochen schnitzt sie Muster in Teppichreste. Ohne Anleitung, ohne Sinn, ohne Verstand. „Richtige Arbeit haben wir hier nicht für sie – beschäftigen sie sich“, ist fast das Einzige, was sie von den Anleitern bei der HAB bisher zu hören bekam. Die Teppichreste verschwinden anschließend im Müllsack.

Es gibt auch andere „Beschäftigungen“ für die Arbeitswilligen, die in der Fangdieckstraße gelandet sind. Gestandenen Hausfrauen wird befohlen, Fenster zu putzen, die vorher mit Fett verschmiert wurden. Eine Putzkolonne putzt auf Ein-Euro-Basis täglich einen Flur der Betriebstätte: achtmal, zehnmal, zwölfmal. So lange eben, bis der Arbeitstag zu Ende ist. Mehrere Männer mauern eine Wand. Sind die Steine kniehoch aufgetürmt, wird sie von den HAB-Mitarbeitern umgetreten. Dann beginnt die Prozedur von vorn.

Als er vorgeschlagen habe, einmal in der Gruppe auf Spielplätze zu gehen, um Laub aufzusammeln und „irgendetwas Sichtbares zu tun“, habe man ihn nur ausgelacht, berichtet ein gelernter Möbeltischler, der nach einem Arbeitsunfall 1998 seinen Job verlor. Auch er kam freiwillig zur HAB. Heute sagt er: „Man wird behandelt wie ein Vollidiot. Ich bereue es, dass ich nicht zu Hause geblieben bin, um meine Kinder zu versorgen. Dann könnte ich etwas Sinnvolles tun.“ Doch ihm droht ebenfalls die Streichung seiner Sozialleistungen, wenn er nicht mindestens sechs Monate bei der HAB abreißt.

Förderung? Fehlanzeige. Qualifizierung? Nicht vorgesehen. Vermittlung in den Arbeitsmarkt? Vielleicht irgendwann mal. Kleines Zusatzeinkommen? Kaum möglich: Um zur HAB-Betriebsstätte nach Eidelstedt zu gelangen, braucht Möller eine HVV-Monatskarte. Die 52 Euro, die diese kostet, muss sie natürlich selbst bezahlen. Ein warmes Mittagessen bei der HAB kostet 3,50 Euro und damit fast die Hälfte des täglichen „Lohns“. Da bleiben von den 160 Euro monatlichem Zusatzverdienst gerade 38 Euro übrig. „Entlohnt“ werden nur die Tage, an denen die Ein-Euro-Jobberin auch tatsächlich anwesend ist. Wer unentschuldigt fehlt, dem droht die Sperrung der Sozialhilfe.

„Wie in einer Besserungsanstalt“ kommt sich Möller, die noch vor wenigen Jahren Texte für einen großen Hamburger Verlag schrieb, vor. Vor allem aber spürt sie immer mehr die „Angst, komplett zu verblöden“. Sie habe hier in der Fangdieckstraße „Menschen gesehen“, erzählt Möller, „die innerhalb von nur zwei Wochen total abgebaut haben“.

* Name geändert