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Archiv-Artikel

Zeit der Heldin

FRAUEN In Island brachte die Finanzkrise Frauen an die Macht. Kommende Woche steht bei der Parlamentswahl der nächste Sieg einer Frau bevor. Hat eine neue Ära begonnen?

Regierungschefin Sigurđardóttir, die „heilige Johanna“

VON REINHARD WOLFF

Die Sagen der Wikinger werden in Island jedem Kind erzählt. Sie handeln von risikobereiten, kraftstrotzenden Männern, die vor Jahrhunderten mit ihren Schiffen in See stachen und auf der Vulkaninsel im Nordatlantik Siedlungen gründeten. Es war genau dieses Erbe, das Islands Staatspräsident Ólafur Ragnar Grímsson im Mai 2005 bei einem Vortrag in London beschwor. „Diese Tradition ehrt diejenigen, die sich trauen, fremde Gebiete zu ergründen und moderne Geschäfte als eine Fortsetzung des Wikingergeistes sehen“, sagte er damals.

Vier Jahre später ist von den Eroberern nicht viel übrig geblieben. Milliarden Schulden, die Pleitebanken verstaatlicht. Dafür rückte an die Spitze der Regierung erstmals eine Frau. Jóhanna Sigurđardóttir, 66, Sozialdemokratin und wegen ihres Kampfes gegen Korruption „Heilige Johanna“ genannt, wurde die erste Regierungschefin der Welt, die in eingetragener Partnerschaft mit einer Frau lebt. Am kommenden Samstag wählt Island, und Sigurđardóttir dürfte aller Voraussicht nach für eine reguläre Amtszeit bestätigt werden.

Auf viele Positionen sind Frauen gerückt, die das Land aus der Misere herausreißen sollen. In zwei der drei verstaatlichten Banken, Glitnir und Landsbanki, wurden die früheren männlichen Bankdirektoren durch Frauen ersetzt. Die norwegisch-französische Untersuchungsrichterin Eva Joly wurde angeheuert, um Licht in den Korruptionsfilz zu bringen, der Island an den Rand des Abgrunds gebracht hat.

Und einem einzigen Investmentfonds gelang es, im Katastrophenjahr 2008 schwarze Zahlen zu schreiben: Audur Capital, gegründet 2007 von zwei Frauen. Sie wollten eine Alternative zum männerdominierten aggressiven Finanzsektor bieten. Zu den „deal junkies“ wie Audur-Gründerin Halla Tómasdóttir sie nennt. Denen „nichts als die nächste Provision“ wichtig sei. Auch Audur ist eine heldenhafte Gestalt aus den Wikingersagen – allerdings nicht berühmt für Abenteuerlust, sondern für ihre Weisheit. Eine Frau.

Frauen an der Spitze von Unternehmen ticken anders, sagt Tómasdóttir: Nicht unbedingt weniger risikobereit, aber risikobewusster. Die Managerin verweist darauf, dass der Titel „Unternehmer des Jahres 2008“ nicht zufällig an eine Frau vergeben wurde: Rannveig Rist, Vorstandsvorsitzende von Islands größter Aluminiumschmelze. Rist hatte schon im Frühjahr 2008 die Krise heraufziehen sehen, ihr Unternehmen schuldenfrei gemacht und damit vor einem Kollaps bewahrt.

Doch Rist, die Ingenieurin, die Firmenchefin wurde, ist bislang die einzige Frau an der Spitze eines so großen Unternehmens. Von wirklich gleichen Chancen für Frauen sei auch Island noch weit entfernt, meint Sigridur Thorgeirsdóttir, Philosophieprofessorin an der Universität Reykjavik: „Was die Frauenrepräsentanz in Banken, im Finanzsektor, an den Unis, in der Politik angeht, liegen wir noch weit hinter den Ländern zurück, mit denen wir uns sonst gern vergleichen.“

„Paradigmenwechsel? Leider nein“, bedauert auch Thorgerdur Einarsdóttir, Professorin für Gender-Studien an der Universität Reykjavik: „Als die großen Banken ihre Direktoren gegen Frauen auswechselten, war das eine Panikreaktion. Sie spürten den Widerstand in der Bevölkerung. Etwas musste getan werden. Und sie taten ganz einfach das Naheliegendste, um die Unzufriedenheit einzudämmen.“ Ein Richtungswechsel weg von der „Gleichsetzung des Wikingerkriegers mit dem Geschäftsmann“ – das sei es noch nicht gewesen. Aber: „Wir haben nun die einzigartige Chance, in diesem Vakuum, das sich da aufgetan hat, zu operieren.“

Halla Tómasdóttir sieht das ähnlich. Es sei ein langwieriger Prozess, den Wertegrund einer Gesellschaft zu verändern. „Doch selbst wenn Frauen jetzt nur kurzfristig auf einflussreichen Posten sitzen sollten, hoffe ich, es wird in der Gesellschaft die Erkenntnis wachsen, welche Werte Frauen einbringen können und dass diese sowohl in der Geschäftswelt wie der Politik positive Auswirkungen haben. Dann könnten wir zu einer besseren Balance kommen und die Egos blockieren, die bislang unsere Banken und unsere Politik bestimmt haben.“

„Wir müssen ein neues Gefühl für Solidarität schaffen“, umschreibt Jóhanna Sigurđardóttir ihre künftige Aufgabe als Regierungschefin. Dass sie in diesem Amt mehr als eine Panikreaktion war, können ihr die WählerInnen am 25. April bestätigen.