: Kartellamt prüft Stromanbieter
PREISPOLITIK Vattenfall und Co müssen ihre Kalkulationen rechtfertigen. Das Kartellamt fürchtet, dass „etwas im Argen liegt“ – und Kunden zu viel zahlen
BERLIN taz | „Auf den ersten Blick scheint die Einführung des Wettbewerbs auf den Strom- und Gasmärkten geglückt zu sein“, sagte am Freitag der Vorsitzende des Bundes der Energieverbraucher, Aribert Peters. „Ein zweiter Blick enthüllt jedoch, dass unter dem Deckmantel des Wettbewerbs die Verbraucher kräftiger als je zuvor ausgeplündert werden.“
Ob und inwiefern Energieunternehmen ungerechtfertigte Gewinne durch Preismanipulationen einfahren, will nun das Bundeskartellamt genau unter die Lupe nehmen. In einer sogenannten Sektoruntersuchung will sich das von Bernhard Heitzer geleitete Amt eine umfangreiche Datengrundlage verschaffen. Im Visier stehen die rund 60 größten Kraftwerksbetreiber und Großhändler, die zusammen über 90 Prozent der deutschen Erzeugungskapazität abdecken. Allein die vier größten Unternehmen – Eon, Vattenfall, RWE und EnBW – kontrollieren über 80 Prozent der Stromproduktion. Untersucht werden die Jahre 2007 und 2008.
Das Bundeskartellamt kann seit 2005 mit den Sektoruntersuchungen detaillierte Einsichten in die Akten der Unternehmen verlangen. Bereits in der Vergangenheit nutzte das Amt das Instrument der Sektoruntersuchung, um den Wettbewerb in der Mineralölindustrie und auf dem Markt der Ferngasnetze zu prüfen. Beide Verfahren laufen noch. Im jetzigen Fall sollen in erster Linie Daten zu Kosten der Stromerzeugung, zur Nutzung der Kraftwerke sowie zum Angebot auf den Großhandelsmärkten zusammengestellt werden. Die Wettbewerbshüter wollen gegen die Stromanbieter vorgehen, wenn sie ihnen missbräuchliche Verhaltensweisen nachweisen können. Unter anderem wird geprüft, ob die Unternehmen ihre Angebotsmengen eventuell künstlich an der Strombörse in Leipzig verknappen, um so die Preise in die Höhe zu schrauben.
Das Bundeskartellamt betonte, dass kein konkreter Verdacht die jetzige Untersuchung ausgelöst habe. „Aber wir machen so eine Prüfung natürlich nicht auf Märkten, wo der Wettbewerb tobt, sondern dort, wo wir die Ahnung haben, dass etwas im Argen liegen könnte“, sagte ein Amtssprecher zur taz. So stelle sich angesichts des starken Sinkens der Rohstoffpreise im dritten und vierten Quartal 2008 die Frage, warum die Stromgroßhandelspreise in diesem Zeitraum so hoch lagen wie im Jahr 2007.
Die Stromanbieter haben jetzt Datenbögen erhalten. Sie müssen diese bis zum 6. Mai an das Kartellamt zurückschicken. Die Wettbewerbshüter veranschlagen mehrere Monate für die Auswertung der Unterlagen, denn sie werden mehrere Millionen Einzeldaten analysieren müssen.
Martin Pack, RWE-Sprecher, sagte: „Wir haben bereits vor zwei Jahren nachgewiesen, dass wir nicht manipulieren. Seitdem hat sich an unserem Verhalten nichts geändert.“ Vattenfall wollte am Freitag keinen Kommentar abgeben, ein Eon-Sprecher verwies auf den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft. Dieser Verband sieht der Prüfung anscheinend sehr gelassen entgegen. In einer schriftlichen Stellungnahme hieß es: „Wir haben hierzulande auf dem Strommarkt eine Vielfalt, die in Europa ihresgleichen sucht.“ In anderen europäischen Ländern sei die Marktkonzentration viel stärker.
Bereits im Mai 2006 hatte die Europäische Kommission belastendes Material bei einer Untersuchung der Eon-Geschäftsräume zutage gefördert. Die Folge: Eon muss sich von Teilen seiner Kraftwerke und vom Netz trennen. NADINE MICHEL