: Mutter, Scheinvater, Kind
Die Union will das Kindschaftsrecht ändern: Ihr Verdacht fällt auf ausreisepflichtige Frauen, die schwanger werden und einen deutschen mittellosen Kindsvater angeben. Bundesausländerbeauftragte Marieluise Beck warnt vor „juristischem Glatteis“
AUS BERLIN MARINA MAI
Svetlana M. ist im vierten Monat schwanger und hat keinen festen Aufenthalt in Deutschland. Das wird sich ändern, wenn die Ukrainerin ihr Kind zur Welt bringt. Denn Thomas P., ein Deutscher, hat die Vaterschaft bereits vorab anerkannt. Svetlana M.s Kind wird einen deutschen Pass bekommen. Und ihr selbst steht dann als allein erziehender Mutter eines deutschen Kindes ein Aufenthaltsrecht zu.
Vielleicht aber auch nicht. Denn Politiker von CDU und SPD wollen das Kindschaftsrecht ändern. Die Unionsfraktion im Bundestag und die Länderinnenminister wollen dem Staat in bestimmten Fällen das Recht einräumen, Vaterschaften anzufechten. Die Behörden sollen Menschen wie Svetlana M., Thomas P. und ihr Baby zum Gentest schicken dürfen, bevor die Vaterschaft rechtswirksam wird. Die Union hat einen solchen Antrag in den Bundestag eingebracht, und auch die Innenminister wollen auf ihrer morgigen Konferenz das Bundesjustizministerium um eine Gesetzesänderung ersuchen. Denn bisher können nur die Eltern selbst oder das Kind bereits anerkannte Vaterschaften anfechten.
Unverheiratete nichtdeutsche Frauen ohne Aufenthaltsrecht würden nach Überzeugung der Initiatoren immer häufiger Scheinvaterschaften angeben, um ein Aufenthaltsrecht zu bekommen: Deutsche Männer, meist Obdachlose, erkennen die Vaterschaft an, ohne tatsächlich Vater zu sein. Statt Alimente zu zahlen, bekommen sie dafür Geld von der Kindsmutter. Aber auch ausreisepflichtige Männer geben sich als Scheinväter eines deutschen Kindes aus und fordern ihr Umgangsrecht ein, um in Deutschland bleiben zu dürfen. So ermittelten die Innenminister in einer Erhebung zwischen Frühjahr 2003 und Frühjahr 2004 bundesweit 1.694 „Verdachtsfälle“. Verdächtig war, wenn Mütter erst durch die Vaterschaft ein Aufenthaltsrecht erhielten und der angegebene Vater keinen Unterhalt zahlte, weil er kein ausreichendes Einkommen hat.
Die CDU-Rechtspolitikerin Ute Granold erläutert gegenüber der taz das Ziel der Gesetzesnovelle: „Die Hürde für die Vaterschaftsanfechtung soll der Gesetzgeber hoch hängen, damit binationale Partnerschaften nicht unter einen Generalverdacht fallen.“ Anfechtungen soll es etwa geben dürfen, wenn durch die Vaterschaftserklärung die Mutter Aufenthaltsrecht und Sozialleistungen erhält und es Indizien gibt, dass eine soziale Vaterschaft nicht vorliegt. „Die falsche Vaterschaft vereitelt das Recht des Kindes auf Kenntnis der Abstammung und das Umgangsrecht mit dem eigentlichen Vater.“ Nach Auffassung der Union entdeckten aber auch professionelle Schleuserbanden in der organisierten Vermittlung von Vaterschaften ein Geschäft. Strafbar sind Scheinvaterschaften, anders als Scheinehen, allerdings nicht.
Die SPD ist sich uneins. Während die Innenminister von Berlin und Nordrhein-Westfalen das Gesetz ändern wollen, will die Bundestagsfraktion erst einmal die Jugendämter befragen. Justizpolitikerin Christine Lambrecht lehnt es ab, wegen weniger, nicht einmal erwiesener Missbrauchsfälle im Schnellschuss ein fortschrittliches Kindschaftsrecht auszuhöhlen. Erst 1998 wurde das Interventionsrecht des Staates bei Vaterschaftsanerkennungen von Kindern allein erziehender Mütter abgeschafft. Der Gesetzesnovelle lag damals der Gedanke zugrunde, es diene dem Familienfrieden, wenn nur die Mutter und nicht wie bis dahin ein Amtspfleger über die Anerkennung des Vaters entscheiden könne. Der Gesetzgeber nahm ausdrücklich in Kauf, dass dabei in einzelnen Fällen ein Mann die Vaterschaft anerkennt, der das Kind nicht gezeugt hat, aber sozialer Vater ist.
Für die Bundesausländerbeauftragte Marieluise Beck (Grüne) ist es „gesetzgeberisches Glatteis“, aufgrund bloßer Vermutungen behördlich angeordnete Gentests zu fordern. „Ohne Zustimmung aller Betroffenen durchgeführte Vaterschaftstests haben in vielen Familien großen Schaden angerichtet.“ Scharfe Ablehnung kommt auch vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften. Bundesgeschäftsführerin Cornelia Spohn: „Svetlana M. und Thomas P. sind für die CDU Verdachtsfälle. Für uns sind sie Ratsuchende, die nicht unter Generalverdacht gestellt werden dürften. Solche populistischen Diskussionen vergiften das soziale Klima.“