Mossul wird Krisenherd

Bisher war es in der nordirakischen Stadt ruhig. Jetzt droht ein zweites Falludscha, Rebellen kontrollieren bereits das Westufer des Tigris

MOSSUL taz ■ An einer vierspurigen Hauptverkehrsstraße am Ostufer des Tigris in der nordirakischen Millionenstadt Mossul. Auf dem Grasstreifen liegen die ausgeglühten Reste eines Motorblocks, Autoblechteile und Glassplitter sind auf der Straße verstreut, am Straßenrand ist ein tiefes Loch in den Belag gerissen – typische Spuren eines Autobombenanschlags, wie sie im Irak von heute an der Tagesordnung sind. Auch Mossul ist davon nicht verschont geblieben. Ziel des Anschlags war ein Konvoi mit irakischen Nationalgardisten, die zur Verstärkung der Sicherheitskräfte nach Mossul beordert wurden.

Die Soldaten hatten Glück, diesmal gab es keine Toten. Die Nationalgardisten sollen anstelle der örtlichen Polizei für Sicherheit und Ordnung in der größten Stadt im Nordirak sorgen. Denn seit Donnerstag, als Aufständische in einer konzertierten Aktion mehrere Polizeiwachen überrannten, plünderten und in Brand steckten, steht Mossul ohne Polizei da. Mehr als die Hälfte der Polizisten sollen Lokalpolitikern zufolge zu den Angreifern übergelaufen sein. Dabei nahmen sie Fahrzeuge und Waffen gleich mit. Daraufhin setzte der Innenminister den Polizeichef ab. Gerüchten zufolge soll er von kurdischen Einheiten festgenommen worden sein.

Die irakische Interimsregierung von Ajad Allawi und die Amerikaner erlebten damit in Mossul das gleiche Debakel wie zuvor schon in Falludscha. Auch eineinhalb Jahre nach dem Sturz des Saddam-Regimes ist die Disziplin unter den Sicherheitskräften extrem niedrig. Im Zweifelsfall können sich Regierung wie Amerikaner nur auf eine Handvoll der im Eiltempo aufgebauten Kontingente verlassen. Der Gouverneur von Mossul hat das mittlerweile öffentlich eingestanden. Der Gouverneur habe das Vertrauen in die Polizei verloren und tausende von kurdischen Kämpfern sowie irakische Spezialeinheiten angefordert, sagte sein Sprecher.

Im überwiegend von Kurden bewohnten Osten der Stadt haben kurdische Nationalgardisten die Kontrolle übernommen. Sie patrouillieren auf den Straßen und überwachen alle wichtigen Kreuzungen. Nur ab und zu sieht man Zivilisten auf den Straßen, meistens sind es junge Männer mit kurzen Bärten. Die Mehrzahl der Geschäfte hat geschlossen. Während der Kämpfe in den vergangenen Tagen attackierten die Angreifer mehrere Niederlassungen der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), einer der größten kurdischen Parteien im Norden. Aber auch die Büros der gemäßigten Islamischen Vereinigung Kurdistans gerieten ins Visier der Untergrundkämpfer. Die Angriffe liegen ganz auf der Linie eines im Januar bei einem Kurier von Abu Musab Sarkawi gefundenen Strategiepapiers, in dem der Terrorist einen Krieg zwischen den Ethnien des Zweistromlandes heraufbeschwor. Darin sieht Sadi Ahmed Pire von der PUK die größte Gefahr des Konflikts in Mossul. Denn anders als Falludscha wird Mossul traditionell von sunnitischen Arabern, Turkmenen, Christen und Kurden bewohnt. „Wir dürfen auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass hier Kurden gegen Araber kämpfen“, sagt Pire. Er setzt deshalb darauf, dass die alteingesessenen Städter den Rebellen Einhalt gebieten.

Mossul ist die Stadt der Kaufleute im Irak, von deren Wohlstand die zahlreichen Villen im irakischen Zuckerbäckerstil zeugen. Händler wollen vor allem gute Geschäfte machen, Krieg störe sie nur, sagt Pire. Mossul ist aber auch die Stadt mit der größten Zahl an ehemaligen Offizieren und Parteigängern der Baath, und es ist eine Hochburg extrem konservativer Islamisten. Ganze Busladungen radikaler Kämpfer sollen nach dem Angriff auf Falludscha nach Mossul gekommen sein. Nach Berichten von Einwohnern kontrollieren sie mittlerweile ganze Stadtteile am Westufer des Tigris, der vornehmlich von Sunniten bewohnt wird. Immer wieder ist es in den vergangenen Tagen zu Scharmützeln zwischen ihnen und amerikanischen Soldaten gekommen.

Die Lage in Mossul sei angespannt, aber nicht verzweifelt, sagte Brigadegeneral Carter F. Ham, Kommandeur der hier stationierten Task Force Olympia. Er erwarte in den kommenden Tage schwere Kämpfe, sagte Ham. Da es den Amerikanern aber an Truppen fehlt, wird er auf die kurdischen Kontingente zurückgreifen müssen.

Mossul ist eine zweigeteilte Stadt – kaum ein Kurde traut sich in den Westteil, umgekehrt fürchten Sunniten das Ostufer des Tigris. Nach dem Verlust von Falludscha scheinen die militanten Islamisten ihren Kampf nach Mossul tragen zu wollen. Ein Kampf mit den Kurden brächte Sarkawi seinem finsteren Plan ein Stück näher.

INGA ROGG