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Archiv-Artikel

Eine Niederlage für Merkel – aber kein Sieg für Stoiber

Die Parteivorsitzende wurde in einem langen Pokerspiel zermürbt: Ihr Image als durchsetzungsfähige Reformerin ist erst mal dahin

BERLIN taz ■ Auf diesen einen Satz hat Angela Merkel seit einem Jahr gewartet. Ein Jahr lang hatte sich der Mann links neben ihr gesträubt, diesen Satz zu sagen. Ein Jahr lang schien ihr Schicksal davon abzuhängen, ob dieser eine Mann diesen einen Satz über die Lippen bringt. Jetzt endlich tut er ihr den Gefallen. CSU-Chef Edmund Stoiber sagt tatsächlich: „Wir akzeptieren die Prämie.“ Uff. Jetzt ist es raus.

Der störrische Bayer tut, was störrische Bayern nicht gern tun: Er gibt nach. Er stimmt dem Systemwechsel im Gesundheitswesen zu, den Merkels CDU vor einem Jahr ausgetüftelt hatte. Stoiber akzeptiert die Einführung eines pauschalen Krankenversicherungsbeitrags, also einer einheitlichen „Prämie“, die andere „Kopfpauschale“ nennen und die er selbst und seine CSU ein Jahr lang als unsoziales Teufelszeug abgelehnt hatten. Merkel müsste sich also freuen. Doch das tut sie erkennbar nicht. Denn Stoiber belässt es nicht bei diesem Satz, er fügt sofort hinzu, was nach einem Jahr herausgekommen ist: eine Prämie, ja, „allerdings eine kleine Prämie“.

Stoiber sagt das bei dieser Pressekonferenz noch öfter, das mit der „kleinen Prämie“, und er spricht das Wort „klein“ jedes Mal genussvoll aus. Einmal fängt er dabei sogar fast an zu grinsen. Merkel spürt diese kaum verhohlene Schadenfreude ihres Nebenmanns zur Linken natürlich ganz genau. Jedes Mal, wenn Stoiber „kleine Prämie“ sagt, schaut Merkel so, als habe sie gerade eine Zitrone verschluckt.

Kein Wunder. Man muss kein Experte in machttaktischen Tricksereien und erst recht kein Experte in den komplizierten Gesundheitsfragen sein, um die hohe Symbolik dieser zwei Worte zu verstehen: Kleine Prämie – das bedeutet kleine Merkel. Das große, klare, leicht verständliche und radikale Konzept für ein neues Gesundheitssystem, das die CDU-Chefin vor einem Jahr auf dem Parteitag in Leipzig so stolz und selbstbewusst präsentierte, ist durch den Kompromiss mit Stoibers CSU zu einem halbgaren Von-allem-etwas-und-ein-bisschen-so-ein-bisschen-so-Papier geschrumpft, das niemand ernst nimmt. Stoiber selbst liefert Rot-Grün die Vorlage, wie das Unions-Konzept als irrelevant abgetan werden kann, indem er sagt, man werde es „zunächst einmal in die Schublade legen“. Da wird es wohl bleiben. Da kann Merkel noch so oft betonen, dass „die Weichen eindeutig in Richtung eines Prämienmodells gestellt“ seien – ihr Ziel hat sie verfehlt. Merkel hat in diesem Pokerspiel, in dem es immer auch um die Hierarchie in der Union ging, auf jeden Fall eines verloren: Ihr Image als radikale Reformerin, die sich durchsetzt. Schon melden sich ihre Rivalen mit kleinen Spitzen. „In der CDU waren wir schon weiter“, ruft Roland Koch etwa aus Hessen, „ich hätte mir ein konsequenteres Programm gewünscht.“ Dass es dazu nicht kam, ist für Merkel eine Niederlage – aber kein Sieg für Stoiber. Dafür war seine Haltung lange Zeit zu destruktiv und am Ende auch nicht konsequent genug. Gewonnen hat die FDP, die sich mit ihrem Privatisierungsvorschlag für das Gesundheitswesen jetzt als einzige radikale Reformpartei präsentieren kann. LUKAS WALLRAFF