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: Wie im Kaff: Ein Vorweihnachtssymbol nach dem anderen schwingt hier im Wind

An der Manteuffelstraße hat jemand eine fast zwei Meter große, bärtige Weihnachtsmannpuppe wie einen Einbrecher außen an seinen Balkon gehängt. Er sieht durch die Abgase und das Wetter schon recht mitgenommen aus, schwingt im Wind und bummert sein starres Gesicht dabei immer wieder gegen die Balkontüre. Ich bin nicht ganz sicher, ob der Aufhänger seine Lieben damit entzücken oder erschrecken möchte. Wenn ich mich recht erinnere, haben mir als junger Hüpfer alle Puppen über einer Größe von dreißig Zentimetern Angst eingejagt, dieses hässliche Fernsehsandmännchen eingeschlossen.

Aber man steckt ja nicht drin. Was dem einen seine Horrorpuppe, ist dem anderen vielleicht seine Weihnachtstradition. Unterschiede in der Rezeption von Symbolen merke ich auch immer, wenn meine älteste Freundin zu Besuch ist. Sie kommt, genau wie ich, aus einem medioker großen Nest in Westdeutschland, in dem „Hallo Partner! Danke schön!“-Aufkleber an den Bussen pappen und man seine Haarkuren bei „Ihr Platz“ kauft. Aber im Gegensatz zu mir ist sie nach ihrer Schulzeit in dem Nest gleichmäßig in immer kleinere Örtchen gezogen, heute bewohnt sie ein ehemaliges Bauernhaus im Nichts und muss alle halbe Stunde ihren Sohn mit dem Auto von und zu seinen Aktivitäten kutschieren, denn Busse verkehren nur dreimal am Tag. (Sie ist natürlich trotzdem eine Spitzenmaus, nur eben zunehmend stadtentwöhnt.)

Für sie sind U-Bahnen und Doppeldeckerbusse zum Beispiel ein Symbol für Urlaub, denn sie befährt diese Verkehrsmittel nur, wenn sie zwecks Kulturaufnahme oder um sich mal wieder richtig einen hinter die Binde zu kippen in Berlin, London, New York oder Paris weilt. Für mich sind U-Bahnen und Doppeldeckerbusse eher ein Quell des stetigen Ärgers, denn entweder ich warte auf eine/n oder ich werde beim Schwarzfahren erwischt. (Ich habe jetzt aus dramaturgischen Gründen ein wenig übertrieben, tief im Innern bin ich in Wahrheit ebenfalls so provinziell, dass ich mich jedesmal freue, wenn der orangefarbene, lange Wurm aus seiner Höhle gekrochen kommt. Aber das darf man der blöden BVG nicht sagen, sonst wird sie noch eingebildeter.) Bei ihrem letzten Besuch wollte meine Freundin im Telefonbuch einen Namen nachschlagen, und als ich sie fragte „A – K oder L – Z?“, rief sie bewundernd aus: „Oh, diese Stadt ist so groß! Ihr braucht sogar ZWEI Telefonbücher!“. Und ich, leicht zu bauchpinseln, wie ich bin, war sofort furchtbar stolz auf meine tolle Großstadt. Allerdings nur, bis ich erstens an die zigtausend Telefonbücher von New York dachte und mich zweitens darüber ärgerte, dass ich ihr nicht gleich die Telefonbuch-CD, oder besser noch www.telefonbuch.de angeboten hatte. DAS wäre metropolitan gewesen.

Noch ein Unterschied fiel meiner Freundin auf: „Dann könnt ihr ja gar keine Kastanienmännchen basteln“, stammelte sie, als sie die Plakate gegen die kastanienminimierende Miniermotte entdeckte und ich ihr das Baumdilemma schilderte. „Wir kleben stattdessen Altbatterien zusammen und basteln daraus Babyspielzeug“, beeilte ich mich, ihr zu erklären. „Mach dir keine Sorgen.“

Was die Vorweihnachtssymbolik betrifft, so unterscheidet sich Berlin (bis auf den eingangs erwähnten lebensechten Free Climber) jedoch nicht so sehr von jedem westdeutschen Kaff: Blinkendes Zeug in den Fenstern und mit Dominosteinen gefüllte Teller in den Kneipen. Eine tolle Erfindung übrigens. Man muss vor dem Barbesuch nicht mehr Essen gehen, um eine ausreichende Basis für den Schnaps zu schaffen, sondern kann sich direktemang um acht Uhr in die Kneipe begeben und sich ganz auf die heilsamen, magenauskleidenden Lebkuchen verlassen. JENNI ZYLKA