Blick nach nebenan

„Ein Elling-Monolog“ in den Grindelhochhäusern macht den Zuschauer zum Voyeur – und zum ewigen Zweifler

Die skurrile Romanfigur Elling des Norwegers und Wahlhamburgers Ingvar Ambjörnsen ist durch zwei Kinofilme in Deutschland noch bekannter geworden. Auch das Theater hat den 32-jährigen Frührentner, das ewige Muttersöhnchen, für sich entdeckt. Seine Geschichte wurde bereits bundesweit auf die Bühnen gebracht.

Ausblick auf das Paradies – Ein Elling-Monolog – das Theaterprojekt in den Grindelhochhäusern, das jetzt Premiere hatte, geht mit der Inszenierung von Stephanie Kunz andere Wege. Kunz, die dezeit am Altonaer Theater inszeniert, lässt das Stück mit der Fahrstuhlfahrt in den achten Stock eines Grindelhochhauses beginnen. Dort ist Ellings Wohnung: Küche, Bad, Flur, Ellings Zimmer und Mutters Zimmer. Mutter ist kürzlich verstorben, so dass Elling allein wohnt.

Die Ausstattung von Petra Winterer und Lilli Lesemann bietet den maximal 20 Zuschauern, die in Mutters Zimmer Platz nehmen, lediglich Zeitungsstapel zum Sitzen. In diesem trostlosen Raum erzählt Elling (Helmut Zhuber), was er in den gegenüberliegenden Hochhäusern gesehen haben will.

Elling ist ein Voyeur, und der Zuschauer wird es auch. Er nimmt teil an den absurden Ideen des verschrobenen Elling, der zum Beispiel erzählt, dass er bei der Post die Frau von gegenüber gesehen und versucht habe, ihr mit der Zungenspitze ein graues Haar von dem Mantel zu schlecken. Elling ist das Vergrößerungsglas, durch das der Zuschauer in die vermeintlichen Leben anderer blickt.

Zugleich wird das Publikum zum Beobachter des gesellschaftlichen Außenseiters Elling selbst, der nach dem Tod seiner Mutter keinen Ansprechpartner mehr hat. Aus Not flüchtet er sich in das Leben anderer Menschen. Nicht aufzulösen ist dabei, was wirklich passiert ist und was Ellings Phantasie entspringt.

Elling wird im Laufe des Abends immer mehr zum Moralisten: Er verabscheut den Mann, der angeblich seine Frau schlägt, er hasst die vermeintliche Kaufhaus-Diebin. Dass er dabei durch Telefonterror und heimliches Beobachten selbst die Privatsphäre anderer Menschen verletzt, ist ihm nicht bewusst.

Die Inszenierung schafft es, das Publikum zum Lachen zu bringen. Trotzdem wird die Tragödie, die Ellings Leben ebenso ausmacht, nicht ausgeblendet. Immer wieder wird Ellings innere Not sichtbar, die schließlich zu seiner Einweisung in die Psychiatrie führt. Das Publikum bleibt allein in der Wohnung zurück.

Die Wohnung in der Grindelhochhaus-Siedlung bietet eine hervorragende Kulisse für die Inszenierung. Hier kann jeder selbst in die Fenster gegenüber schauen. Und so anonym die acht- bis 14-stöckigen Gebäude auch wirken: Hier ist man näher an des Nachbars Wohnung als im Reihen- oder Einfamilienhaus.

Jennifer Neufend

Weitere Vorstellungen: 17., 19., 21., 11., Tickethotline ☎ 0163 320 50 40, Grindel-Hochhäuser, Hallerstraße 5b, 8. Stock