: Das Ein-Mann-Ballett
Er tut’s auf seine Art – und das Publikum ist begeistert. Am Montagabend trat Tom Waits in Berlin auf. Viele Songs kamen von der neuen CD, erst am Ende mischten sich die alten Gassenhauer dazu
VON DIRK KNIPPHALS
Er hat erstaunlich schlanke Hände. Überhaupt wirkt er schlank in seinem eng geschnittenen dunklen Anzug, den er so nachlässig trägt, als sei er vom Sperrmüll, der aber aussieht, als sei er teuer und maßgeschneidert. Eine seltsame grüßende Geste: die offene Hand, alle Finger gestreckt, dem Publikum entgegengehalten, als wolle er nach etwas greifen. Ein schnelles Lächeln, das einerseits linkisch aussieht, andererseits Respekt dem Publikum gegenüber signalisiert. Dann geht er zum Mikrofon und knickt in der Hüfte ab, was er noch oft tun wird an diesem Abend, wie er ja überhaupt kaum einmal gerade steht, immer ist sein Oberkörper nach vorne gebeugt oder zur Seite abgeknickt oder nach hinten gebogen.
Wenn er dann wie zu Beginn und im Verlauf des Abends noch mehrmals zu tanzen beginnt, winkelt er zudem noch eins seiner Beine ab. Die rockistische Pose des „Hier stehe ich und kann nicht anders und singe jetzt erst mal ein Lied“ hat er ganz und gar nicht drauf. Statt dessen formieren sich Arme, Beine und Oberkörper, die jeweils unabhängig voneinander ihr Bewegungsrecht zu fordern scheinen, zu einem merkwürdigen manieristischen Ein-Mann-Ballett. Dann setzen die ersten Takte des Songs „Make It Rain“ aus dem neuen Album „Real Gone“ ein, und es beginnt das erste von drei Konzerten, die Tom Waits in Berlins Musicalhaus Theater des Westens gibt.
Man hält sich erst mal daran, ihm genau zuzugucken, weil man zunächst überhaupt keine Lust hat, die unwahrscheinlichen Manierismen dieses Mannes gleich auf Allgemeinbegriffe zu bringen. Natürlich, die Markenzeichen erfasst man auf den ersten Blick. Den verkniffenen Mund. Den Reibeisenblick. Das Bärtchen unter der Unterlippe. Die Stimmenakrobatik. Ab dem dritten Stück setzt er sich auch noch einen Hut auf. Mit mehr Tom-Waits-Klischees kann sich Tom Waits gar nicht umgeben.
Aber ein Epigone seiner selbst steht da auf gar keinen Fall auf der Bühne. Dies ist nicht der Abend, an dem ein Klassiker souverän die Zeichen, Masken, Stilmixe und Gesten vorführt, aus denen er sich in langjähriger Arbeit ein Image zusammengebaut hat. Dies ist auch nicht der Abend, um etwas grundstürzend Neues vorzuführen. Will hier jemand einfach gute Arbeit abliefern? Vielleicht. Das I-do-it-my-way-Programm, allerdings in einer sehr eigenwilligen Ausführung: Es sind schließlich viele Wege, die dieser Mann geht – Barmusik, Blues, Jazz, Jahrmarktschreier, Bänkelsänger, Brecht/Weill. Jedenfalls ist hier ein ziemlich selbstbewusster, ziemlich unironischer Künstler am Werk, mit einer Haltung des „Friss es oder lass es“ dem Publikum gegenüber. Tom Waits zeigt in dem Konzert seine Kunst, kommunizieren mit den Zuhörern will er nicht.
Er hat ja auch so schon ziemlich viel zu tun. Viele Songs fangen so an, dass Waits erst mal ein paar merkwürdige Geräusche ins Mikro röhrt, die werden dann gesampelt und geben den Rhythmus vor. Nur eine Dreier-Mannschaft in der klassischen Bandeinteilung hält Waits musikalisch den Rücken frei: Gitarre (in vielfältigen Variationen, akustisch, elektronisch, Banjo usw.), Bass (meistens akustisch), Schlagzeug (nebst diversesten Perkussionsinstrumenten).
Manchmal kommt ein Blasinstrument dazu, dann fällt die Sologitarre für die Dauer eines Songs eben aus. Auf diesem Klangteppich singt Waits dann seine Lieder, die ziemlich wortlastig sind; zwischen den Wörtern findet er aber immer noch Zeit, sirrende, ploppende, schnalzende oder gurgelnde Geräusche zu machen, sodass er neben dem Gesang noch ein weiteres stimmliches Instrument zu bedienen scheint.
Der Song „Don’t Go Into That Barn“ läuft so ab, dann die Ballade „Lost At The Bottom Of The World“. Viel Material aus der aktuellen CD, gegen Ende des Konzertes hin vorsichtig gemixt mit Gassenhauern von früher. Eine Enttäuschung gibt es: „Sins Of My Father“, das Herzstück des neuen Albums, funktioniert live nicht. Vom Rest ist das Publikum, das bis zu 450 Euro für eine Karte auf dem Schwarzmarkt bezahlt haben soll, jeden Song nach drei Tönen erkennt und viel zu intelligent scheint, um einen schunkeligen Bourbon-Abend zu erwarten, begeistert.