„Politik hat mein Leben geprägt“

Gestrandet in Miami und dort eine Heimat gefunden: Ein Gespräch mit der Popsängerin Gloria Estefan über Fidel Castro, Kuba und das amerikanische Exil sowie über die Evolution der Latin-Szene in den USA und die Stagnation der Musikszene auf Kuba

VON DANIEL BAX

taz: Frau Estefan, Sie waren zwei Jahre alt, als Sie aus Kuba nach Miami kamen. Erinnern Sie sich noch?

Gloria Estefan: Ja, absolut. Es war eine kleine Stadt. Die meisten Kubaner gingen damals nach Tampa, an der Westküste Floridas, des Tabaks wegen, darum gab es in Miami nicht so viele. Florida war überwiegend ein Ferienort. Mit vielen Rentnern, die sich dort zur Ruhe gesetzt hatten. Und es war der tiefe Süden, sehr rassistisch. Ich erinnere mich noch, wenn man ein Apartment suchte, hieß es: „No children, no pets, no Cubans“.

Hätten Sie sich träumen lassen, einmal die Stimme dieser Stadt zu werden?

Nein, ganz sicher nicht (lacht).

Ihre Eltern dachten damals bestimmt, dass dies nur ein vorübergehender Aufenthalt sein würde, oder?

Oh ja. Ich besitze noch immer mein Rückflugticket von PanAm Airlines. Meine Eltern dachten, es würde eine Angelegenheit von Monaten sein. Später hat sich mein Vater an der Schweinebucht-Invasion beteiligt und war zwei Jahre lang politischer Gefangener von Fidel Castro. Er kam raus, als Kennedy dem Austausch von Gefangenen gegen Medikamente und Trucks zustimmte. Dann ging er in die US-Army und kam nach Vietnam. Nach seiner Rückkehr litt er schwer an den Folgen von Agent Orange. Er starb 1980. Politik war immer sehr präsent in meinem Leben.

Was haben Ihre Eltern in Kuba gemacht?

Mein Vater kam aus einer Militärfamilie. Sein Vater war Kommandeur in der Armee von Batista. Mein Vater eigentlich wollte auch in die Armee, durfte das aber nicht, um nicht der Vetternwirtschaft beschuldigt zu werden. So ging mein Vater zur Motorradpolizei.

Meine Mutter dagegen betrieb einen privaten Kindergarten. Als Fidel Castro an die Macht kam, kamen Leute in den Kindergarten und fragten die Kinder: Wer möchte ein Eis? Natürlich wollte jeder ein Eis. Also haben sie gesagt: Schließt eure Augen und bittet Jesus um ein Eis. Das haben sie gemacht, und nichts ist passiert. Dann haben sie gesagt: Und jetzt schließt eure Augen und bittet Fidel Castro um ein Eis. Dann gab es das Eis. Den nächsten Tag hat meine Mutter den Kindergarten geschlossen.

Ihre Eltern setzten keine Hoffnungen in die Revolution?

Nein. Nicht, das Batista gut war: Ich denke, jeder Diktator ist falsch. Aber sie wussten, wohin die Reise gehen würde. Mein Vater hat noch versucht, nach der Revolution einen Job zu bekommen. Aber da sein Vater Kommandeur in Batistas Armee war, hatte er keine Chance.

Sie haben es als Sängerin bislang abgelehnt, in Kuba aufzutreten. Unter welchen Umständen könnten Sie sich vorstellen, das zu tun?

Wenn es ein freies Kuba gibt. Ich würde ein Gratiskonzert geben in Havanna an dem Tag. Aber die Übergangszeit würde schwierig sein. So, wie sie das hier in Deutschland hatten. Man hat nicht plötzlich Freiheit, und alles ist in Ordnung.

Sie sind heute sehr präsent in Miami: Sie besitzen ein Restaurant, Immobilien, ein Studio.

Ja, und das ist wunderbar. Miami kommt dem am nächsten, was man Heimat nennen könnte.

Ihre Karriere begann, als Sie mit Miami Sound Machine einen Sound prägten, der typisch für die Stadt war.

Ja, definitiv. Emilios Band nannte sich die „Latin Boys“ und spielte alte Sachen aus Kuba, Cha-Chas und so. Als wir begannen, Songs zu schreiben, hatten wir bereits ein breites Vokabular aus Funk, Disco und Latin. Dieser Mix war das, worum es in Miami ging.

Zu dieser Zeit war diese Fusion noch recht ungewöhnlich.

Ja, jedenfalls außerhalb von Miami. In Miami nicht, dort gab es schon eine richtige Szene.

Für die US-Musikindustrie war das aber neu, oder?

Ja, absolut. Um genau zu sein: Als wir „Dr. Beat“ aufnahmen, legte man uns sogar nahe, wir sollten die Latin-Percussion rausnehmen. Die Plattenfirma war natürlich sehr glücklich, dass sich die Platte so gut verkauft hat. Aber sie hatten nicht geglaubt, dass es dafür einen Markt gibt.

Trotzdem hat es eine Dekade gedauert, bis sich andere Latin-Stars wie Ricky Martin oder Shakira in den USA etablieren konnten. Sie und Ihr Mann haben dabei geholfen, indem Sie Ihre Alben produziert haben.

Wir denken: Je mehr, desto besser. Etwa Shakira. Sie wollte auf Englisch singen, hatte aber Zweifel, ob sie das wirklich könnte. Ich habe sie dabei unterstützt.

Sie scheinen das Geheimnis zu kennen, wie man als Latin-Star in den USA Erfolg hat.

Das einzige Geheimnis ist, dass ich in den USA aufgewachsen bin und perfekt Englisch spreche. Und ich beide Kulturen kenne. Was wir versuchen für diese Künstler zu sein, ist etwas, was wir selbst nicht hatten. Uns wurde damals gesagt: Das funktioniert nicht. Wir vermitteln den Kontakt zu den richtigen Leute im Business, die faire Verträge aushandeln. Wir wollen mehr Latinos nach vorn bringen. Um für unsere Kultur zu werben.

Was bedeutet Ihnen kubanische Kultur?

Die kubanische Kultur, mit der ich aufgewachsen bin, ist die Kultur meiner Mutter. Das Kuba, an das sie sich erinnert, ist natürlich ein anderes Kuba als heute. Es gibt jetzt vier Generationen, die in den USA aufgewachsen sind, das ist eine andere Welt.

Was möchten Sie davon an Ihre Kinder weitergeben?

Als Erstes: Familiensinn. Wir Kubaner sind sehr familienorientiert. Die Verantwortung, sich um seine Onkel, Tanten und Kusinen zu kümmern: Das ist Teil unserer Kultur. Zweitens: das Essen. Wenn Sie meinen Sohn oder meine Tochter fragen, dann werden sie Ihnen sagen, sie sind Kubaner, obwohl sie in Miami geboren sind. Weil sie das Essen lieben. Das Libanesische übrigens auch, weil Emilios Vaters aus dem Libanon stammt. Und natürlich die Musik. Ich denke, sie werden auch die Leidenschaft erben, denn wir sind ein leidenschaftlicher Menschenschlag. Manchmal unterhalten wir uns nur, und alle denken, wir würden uns streiten (lacht). Es gibt natürlich auch Unterschiede zur Generation meiner Mutter. Sie kannten keine Demokratie, in Kuba herrschte immer eine Diktatur. So hatte meine Mutter nie die Gelegenheit zu lernen, wie man unterschiedliche Meinungen respektiert. Man wirft uns in Miami gern vor, monolithisch zu sein, aber das stimmt nicht: Wir sind sehr heterogen. Vor allem meine Generation liebt es, viele Meinungen zu haben.

Sie ist pluralistischer?

Ganz sicher. Die Generation meiner Mutter hat alles verloren. Sie hat eine sehr, sehr starre Meinung, verständlicherweise. Ich meine, Castro hat nichts Gutes bewirkt. Ich weiß, dass es Leute gibt, die das anders sehen, aber ich wüsste gern, was das sein soll.

Nun, das medizinische System, oder nicht?

Waren Sie mal in einem Krankenhaus in Kuba? Die haben nicht mal Aspirin! Man muss zwei Monate warten, um einen Arzt zu sehen, selbst wenn man sich den Schädel gebrochen hat. Und das liegt nicht an den USA! Dieses ganze Embargo-Ding ist doch eine Farce. Denn er kann alles kaufen, von jedem anderen Land. Aber warum sehen die Menschen nichts davon? Warum dürfen sie nicht an die Strände und in die Restaurants oder Hotels? Das ist seine Schuld, nicht die des Embargos! Und das Bildungssystem ist ein Indoktrinationssystem. Wenn du nicht das studierst, was du studieren sollst, dann kannst du nicht an die Universität. So war es immer in Kuba: Wenn du nicht auf der Seite der Mächtigen standest, hast du besser den Mund gehalten.

Äußern Sie sich gern zu politischen Fragen?

Ich sehe es als meine Aufgabe, überall, wo ich bin, ein paar Wahrheiten über Kuba auszusprechen. Denn wo immer ich hin komme, werde ich nach Kuba gefragt. Ich frage mich, ob man Fidel so viel nach mir fragt wie mich nach ihm (lacht).

Sie werden immer nach Kuba gefragt?

Oh, mein Gott. Ich werde nie nicht nach Kuba gefragt. Aber das ist okay. Viele Leute wissen nicht, dass er kürzlich Dissidenten ins Gefängnis geworfen hat und dass er diese Leute foltern lässt. Darum spreche ich das an.

Aber nicht in Ihrer Musik?

Nur am Rande: In „Oye Mi Canto“ etwa, das von Meinungsfreiheit handelt. Oder „Cuba Libre“, natürlich. Aber ich versuche, mich von der Politik fern zu halten, denn die Musik war meine Zuflucht vor dieser Realität. Es war für mich ein Weg, mit meinen Gefühlen umzugehen, als mein Vater aufgrund der Politik so viel erleiden musste. Darum habe ich meine Musik von politischen Botschaften frei gehalten.

Als ich 1989 auf Kuba war, konnte man Ihren Song „Oye Mi Canto“ überall hören.

Ja, aber bestimmt nicht im Radio (lacht). Ich weiß, das meine Sachen gehört werden und auf dem Schwarzmarkt zu kaufen sind. Aber es gibt DJs, die eingesperrt oder verprügelt wurden, weil sie meine Sachen gespielt haben

Haben Sie noch Verwandte auf Kuba?

Es gibt noch ein paar entfernte Cousins meiner Mutter, denen wir helfen, wann immer wir können. Aber keine engen Verwandten. Meine Großeltern haben alle das Land verlassen, und alle meine Onkel und Tanten genauso.

Wer hält Sie auf dem Laufenden über die Lage?

Meine Mutter telefoniert regelmäßig mit ihren Verwandten, sie bekommt Briefe von ihnen. Und ich bekomme viele Fanbriefe aus Kuba, ob Sie es glauben oder nicht. Sie schreiben meiner Mutter, und jemand sammelt die Briefe und übergibt sie ihr. Neulich hat ihr ein Schüler geschrieben, dass er häufig meine Website angeklickt und daraufhin Ärger bekommen habe.

Verfolgen Sie die musikalische Entwicklung?

Ich weiß, das es auf Kuba eine wachsende Rap-Szene gibt. Wahrscheinlich denken sie, dass Fidel zu alt ist für Rap, so dass er nicht hören kann, wie sie sich über ihn beklagen. Sie streuen subtile Kommentare in ihre Songs über die Gesellschaft, in der sie leben, und Botschaften gegen die Regierung. Ansonsten aber hat die Musik auf Kuba stagniert. Denn wenn man einmal Künstler davon abhält, sich frei auszudrücken, dann geht es nicht richtig vorwärts.