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Archiv-Artikel

Konzerne dürfen sich schützen

EU scheitert mit Versuch, Fusionen zu liberalisieren. Einspruch von Deutschland

BRÜSSEL taz ■ EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein machte aus seinem Ärger keinen Hehl: „Wenn der Rat weiterhin derartige Entscheidungen trifft, wird die Europäische Union niemals ihr Ziel erreichen, 2010 die weltweit konkurrenzfähigste Wirtschaft zu sein.“

Donnerstagabend einigten sich die Industrie- und Wirtschaftsminister fast einstimmig auf einen italienischen Kompromissvorschlag zur lange umstrittenen Übernahmerichtlinie, nur Spanien enthielt sich. Seit immerhin fünfzehn Jahren versucht die Europäische Union, im Binnenmarkt einheitliche Spielregeln für so genannte feindliche Übernahmen festzulegen. Mehrere Mitgliedstaaten haben Abwehrmechanismen vorgesehen – etwa Mehrfachstimmrechte für Anteilseigner oder so genannte Vorratsbeschlüsse, mit denen die Aktionäre das Management vorsorglich zu Abwehrmaßnahmen autorisieren. Bekanntestes Beispiel ist das deutsche VW-Gesetz. Unzählige Male intervenierte die niedersächsische Landesregierung bei Binnenmarkt-Kommissar Bolkestein, der die Abwehrregeln des VW-Konzerns vom Europäischen Gerichtshof in Luxemburg überprüfen lassen will.

Die Einigung im Rat kam zustande, weil der Vorschlag der italienischen Ratspräsidentschaft es jedem Mitgliedsstaat ermöglicht, seine Sonderregelungen zu behalten. So kann Ericson in Schweden weiterhin Mehrfachstimmrechte vergeben, und Vorratsbeschlüsse sind ebenfalls erlaubt. Dennoch steht es Firmen frei, die Richtlinie vollständig anzuwenden, obwohl die eigene Regierung es nicht tut. Ein Unternehmen kann diesen Schritt auch wieder rückgängig machen, wenn eine Übernahme durch ein Unternehmen befürchtet wird, dass sich ebenfalls nicht an die Richtlinie hält.

Die Minister haben sich also geeinigt, dass jedes Mitgliedsland machen kann, was es will. Die Ratsentscheidung setzt den Trend der vergangenen Wochen fort, Kommissionsvorschläge auf Druck der großen Mitgliedstaaten vom Tisch zu wischen: zuletzt, als Deutschland und Frankreich das gegen sie laufende Defizitverfahren stoppten. Auch in der Stammzellenforschung musste die Kommission zurückstecken. D. WEINGÄRTNER