Gott und Teufel sagen Servus

Die vielen Welten des Heinz Hoscheck: Peter Payers „Ravioli“ erkundet sie so, dass der Zuschauer Beulen davonträgt

Eine Sozialtragikomödiensatire aus Österreich, genauer: aus dem Inneren der Heimat, da, wo man sich verkriecht oder gegen die Wand läuft oder beides zugleich. Dem Loser Heinz Hoschek (Alfred Dorfer) hilft Alkohol oder Valium oder am besten beides zugleich. Allein in der tristen Elternwohnung. Die Arbeit (Bankfilialleiterstellvertreter) ist er los. Die Mutter ist tot. Der Vater im Pflegeheim. Die Ehe ist geschieden. Es bleibt die Dose mit Ravioli, und die muss er auch noch aufmachen.

Sollen wir einer Arbeitslosentragödie beiwohnen? Sollen wir mitleiden? So leicht können wir es uns nicht machen. Denn Heinz, der Held, auch wenn er depressiv an die Decke kuckt, ist immer dort, wo wir als Zuschauer nicht sind: im Wahn, im Traum, in der Erinnerung, in jäh aufblitzender Utopie, auch in der Realität. Auch dem, der im Kino sitzt, fällt es schwer, sich im Film einzurichten. Die Montage lässt den Betrachter gnadenlos gegen die Wand laufen. Schnitt! Aber hallo, wir sind wieder in einer anderen der Heinz-Welten – mit einer Beule an der Stirn.

Das erhöht die generelle Aufmerksamkeit und mahnt zur Umsicht. Der Film ist in keins der gängigen Genres einzuordnen. Er ist eine Vielheit, also was Gutes, wie wir philosophischerseits gelernt haben. Dementsprechend versorgt uns der vorstellungsaktive Tagträumer rege und selbstironisch mit lockeren Sprüchen, die wir als Aphorismen zur Lebensweisheit klassifizieren können. „Vielleicht denkt sich uns nur wer … es gibt so Kranke.“ Aber umgekehrt: der Arbeitslose denkt sich wen. Wenn er am Muttergrab die Blumen gießt, sitzt sie hinter ihm und bittet zum Tee. Aber schwupps linkt er sich in das Passionsspiellevel. Er bekommt Besuch sowohl von Gott & Teufel wie vom einwandfrei allegorischen „Gewissen“ (Robert Peres) und dem „Geist der Siebzigerjahre“ (Günther Paal), dessen Crashdiskurs das Niveau des Salzburger „Jedermann“ überragt.

Dass Heinz, der fantasierende Sozialfall, bei aller Weitschweifigkeit ganz bei sich und ganz nah bei uns bleibt, dafür sorgt die immense Popularität des deutschen Kleinkunstpreisträgers Alfred Dorfer. Den Preis bekam der Österreicher vor zwei Jahren in Mainz, und zwar in der Sparte Kabarett für „heim.at“, sein viertes Soloprogramm. In Wien gewann er für dieses Stück die Goldene Romy als beliebtester Schauspieler. Und ebendieses Stück verfilmte Peter Payer („Untersuchung an Mädeln“) mit „Ravioli“ – jedenfalls ein Stück weit. Denn wenn Max Dorfer auch im Film ein Soloprogramm durchzieht, so ist er nicht der populäre Schmähspezi des Kabaretts, sondern das Gegenteil: einer, der ausgegrenzt wird und der sich wegduckt. Wer sich einen Max-Dorfer verspricht, findet in der „Ravioli“-Büchse einen Antidorfer drin. Und, wie gesagt, die widerborstige Bildsprache des Films knallt ihm das auch noch ins Gesicht. Ganz schön unwirtlich für die vielen Dorfer-Fans (die Filme „Muttertag“, „Indien“ und „Wanted“ hatten allein in Österreich sechsstellige Besucherzahlen). Und mutig für den rabiaten Imagebrecher; aber nötig ist solch ein Film, und in der Not frisst der Teufel Ravioli.

DIETRICH KUHLBRODT