Der Graben wird immer weiter

betr.: „Entgrenztes Entsetzen“ von Eberhard Seidel, taz vom 16. 11. 04

Als türkischstämmiger deutscher Muslim kann ich Ihrem Artikel nur voll und ganz zustimmen. In Deutschland werden Ausländer (und andere Minderheiten) durch Skinheads terrorisiert oder gar getötet. Aber wenn eine aus Hamburg stammende muslimische Familie vor einem kalifornischem Gericht Asyl erhält, weil das Gericht davon überzeugt ist, dass man als Ausländer in Deutschland nicht sicher ist, geht ein Aufschrei der Empörung durch die Politik. Denn Deutschland ist doch schließlich ein offenes und multikulturelles Land! Und durch einige „bedauernswerte“ Vorfälle darf man doch nicht davon ausgehen, das alle Deutschen rechtsgesinnt sind. Gott bewahre! Wenn aber einige fehlgeleitete Idioten im Namen Allahs Taten begehen, wird direkt am Demokratie- und Menschenrechtsglauben aller Muslime gezweifelt. TAYFUN UGUR, Bielefeld

Seit Anfang der 60er-Jahre lebt meine Familie in Hamburg. Meine beiden Geschwister und ich sind in Hamburg geboren und aufgewachsen, hier zur Schule gegangen und haben an der Hamburger Universität Betriebswirtschaft studiert. Seit mehreren Jahren bin ich mit einem deutschen Mann verheiratet und habe einen Sohn mit ihm. Vor vielen Jahren wurde ich eingebürgert. Normalerweise fühle ich mich wohl in Hamburg, und Deutschland ist meine Heimat. Das ist mein innerstes Gefühl. Doch seit einiger Zeit bin ich darüber erschrocken, was in Deutschland und in Europa so vor sich geht.

Egal, in welche Medien ich auch blicke – Fernsehen, Radio, Internet –, das wichtigste Thema ist der Beitritt der Türkei in die EU. Es gibt anscheinend keine Diskussion, die heftiger und fanatischer geführt wird als diese. Und ganz plötzlich spüre ich, dass ich ja eine Türkin bin. Ob es meine Schwiegereltern sind, meine Freunde oder Kollegen. Von allen schlägt mir eine Welle des teils unterschwelligen, teils offenen Islam- und Türkenhasses entgegen. Mir kommt es so vor, als hätte dies alles vorher bereits existiert, und jetzt gibt es einen offiziellen Grund und eine Rechtfertigung.

Können Sie sich vorstellen, dass ich Stellung zum Konflikt mit den Aramäern und zu Aserbaidschan beziehen muss, vor Leuten, die nicht die geringste Ahnung von diesen geschichtlichen Ereignissen haben? Automatisch werde ich in die Ecke gedrängt, in der ich als Türkin die Türkei und die Türken verteidigen und Rechtfertigungen beispielsweise zu Kopftüchern finden muss? Sie möchten mich kompromittieren, da ich in ihren Augen stellvertretend für die türkische Nation stehe. Der Graben, den ich nie so deutlich wahrgenommen habe, wird immer breiter. DEVLET SANLIER, Hamburg