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Archiv-Artikel

Das Ende der Euphorie

Gerhard Schröder ist wieder auf Wirtschafts-Promotiontour in Peking – beim künftigen Konkurrenten auf dem Weltmarkt

AUS PEKING GEORG BLUME

Am Montag wird Bundeskanzler Gerhard Schröder das erste TUI-Büro in Peking eröffnen. Nichts liegt näher, da die Volkrepublik bis ins Jahr 2020 zum beliebtesten Reiseland der Welt avancieren soll. Bis dahin, so hat es sich die Kommunistische Partei Chinas zum Ziel gesetzt, soll sich die Volksrepublik zu einer „Gesellschaft mit bescheidenen Wohlstand“ entwickeln. Mit dem diesjährigen Wachstumstempo von voraussichtlich 8,7 Prozent ist das auch nach Auffassung westlicher Analysten gar kein Problem.

Es ist diese Welle der Euphorie – China als zukünftig beliebtestes Reiseland, als am schnellsten wachsender Automarkt, als heute schon größter Mobilfunkmarkt der Welt –, auf der Schröder diese Woche zum fünften Mal in fünf Jahren durch China reitet. Für den „Genossen der Bosse“ empfiehlt sich das, weil deutsche Großinvestoren in China wie Volkswagen, Siemens oder BASF partout nicht wahrhaben wollen, welche Wolken derzeit am Horizont des chinesischen Wirtschaftwunders aufziehen. Doch man muss nur von Peking über den Pazifik schauen, um Schröder vor weiteren Promotionstouren für TUI & Co. durch die Volksrepublik zu warnen.

Die Euphorie über die Investitionsmöglichkeiten US-amerikanischer Konzerne in China ist in den USA während des Vorwahlkampfes in schiere Angst vor dem Verlust von Arbeitsplätzen an Chinas riesige industrielle Reserverarmee umgeschlagen. Das ist ein völlig neues Phänomen und hat das Zeug, auf Jahrzehnte hin die Weltpolitik zu prägen. Zum ersten Mal sehen sich US-amerikanische Arbeiter und ihre Gewerkschaften in direkter Konkurrenz zu chinesischen Tagelöhnern, die noch vor kurzem mit Schaufel und Wasserbüffelzug ihr Feld beackerten. Nicht anders erklärt sich, dass die US-Regierung in den letzten Tagen Anti-Dumping-Zölle gegen Textilwaren und Fernseher aus China verhängte.

Gut möglich, dass hier der Startschuss zum größten Handelskrieg des Jahrhunderts gegeben wurde. Washingtons 10 bis 15 Jahre zurückliegenden Reaktionen auf die damalige Handelsübermacht Japans lassen das Schlimmste befürchten. Zudem stellen Chinas Überschüsse im Handel mit den USA – über 100 Milliarden US-Dollar 2002 – alles Dagewesene in den Schatten. Wobei den Chinesen nur das Argument bleibt, dass über die Hälfte ihrer Ausfuhren von den Joint Ventures westlichen Konzerne im Land erwirtschaftet wird. Japan dagegen war damals eine für ausländische Unternehmen weitgehend verschlossene Insel.

Das Problem des chinesischen Arguments aber ist: Im Westen zieht es nur bei den Bossen, nicht bei ihren Arbeitern. Auch Schröder wird sich also eines Tages entscheiden müssen: Soll er mitjubeln, wenn Volkswagen wie am gestrigen Freitag in Schanghai den Export des ersten chinesischen Polos nach Australien feiert? Oder soll er bitte schön dafür eintreten, dass, wie deutsche Autohersteller bislang scheinheilig beteuern, in China nur für den chinesischen Markt produziert und aus Deutschland von hier keine Produktion abgezogen werde? Die Entscheidung wird dem Kanzler nicht leicht fallen. Wo es heute noch ein Wirtschaftswunder gibt, so mag auch er denken, ist dabei sein alles.