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Archiv-Artikel

Wer nichts ausgibt, macht nichts falsch

Selbst wenn ich den ganzen Tag zu Hause bliebe, bin ich dennoch dauernd am Kaufen

VON BERNHARD PÖTTER

Der internationale Buy Nothing Day scheitert bei mir bereits um 8.53 Uhr. Die gestresste Verkäuferin im „Back Stop“ bei „Kaiser’s“ gibt die Brötchentüte nicht her. Die Mehrkorn- und Laugenbrötchen kosten 2,78 Euro. Kein Geld, keine Brötchen. Eigentlich darf ich heute nichts kaufen. Aber ich brauche die Brötchen. Der Termin wartet. Ein Arbeitsfrühstück. Was soll ich machen? Meiner Gesprächspartnerin sagen, sie solle die Brötchen holen? Die Kosten einfach auf andere abwälzen?

Das wäre nicht im Sinne des Erfinders. Der heißt Kalle Lasn und ist Chef der kanadischen „Adbusters“, einer konsumkritischen Gruppe mit Sitz in Vancouver. Lasn, eigentlich ein Anzeigenfachmann, bekämpft seit 1992 den jährlichen Konsumterror vor Weihnachten. Seit 1997 rufen sie den internationalen Kauf-nichts-Tag aus (siehe Kasten auf dieser Seite). Wenigstens einen Tag im Jahr, vor dem Start ins Weihnachtsgeschäft, sollten die Menschen andere Dinge tun, als zu konsumieren. Mal wieder zur Ruhe kommen. Sich klarmachen, warum immer mehr Menschen verschuldet sind, warum immer mehr Natur verschwindet, warum die Abfallberge wachsen. 24 Stunden lang einfach mal nichts kaufen.

Das klingt einfacher, als es ist. Spätestens seit dem Reinfall mit den Brötchen ist mir das klar. Die Brötchen sind gekauft. Die Alternative dazu wäre gewesen, sich gestern mit Frühstück für heute einzudecken. „Aber am Tag vorher den Kühlschrank aufzufüllen, das gilt nicht“, hatten die Kollegen gerufen, als ich von meinem geplanten Selbstversuch erzählt hatte.

Also ab zum Termin. In die U-Bahn. Damit ich kein Ticket kaufen muss, habe ich mir eine Monatskarte geliehen. Ticket kaufen ist verboten. Schwarz fahren aber auch. Schließlich geht es am Buy Nothing Day nicht ums Schnorren.

Worum dann? „Die Idee ist es, einen Tag innezuhalten und darüber nachzudenken, wie unser Konsum den Planeten zerstört“, sagen die kanadischen Adbusters. Deswegen entwerfen sie in den USA und Kanada Antiwerbespots, in denen ein Zeichentrickschwein den Fernsehzuschauern zwischen Werbung für Bier und Autos frech ins Gesicht rülpst. Und erklärt, dass unsere Art des Konsums den Rest der Welt kahl frisst.

Um ihren Kampf gegen das System zu propagieren, müssen die Aktivisten nach den Regeln des Sytems spielen: Die Sendezeit für den Spot müssen die Konsumgegner bei den großen Fernseh-Networks teuer bezahlen. Immerhin sind sie inzwischen berühmt genug, dass man ihnen die TV-Zeit überhaupt verkauft. Und man sie nicht wie früher abwimmelt mit dem Hinweis darauf, der Inhalt der Spots widerspreche „der ökonomischen Politik der USA“. Was sicher richtig ist.

Die Fahrt mit der Berliner U-Bahn macht mir kein schlechtes Gewissen. Erstens habe ich nicht bezahlt. Zweitens ist das eine Dienstleistung und außerdem noch öffentlicher Nahverkehr. Das kann nicht falsch sein. Auch die 11,10 Euro für zwei Filme voll entwickelter Urlaubsfotos tun eigentlich niemandem weh. Am Nachmittag erzählt mir Freundin U., sie habe eine neue Energiesparlampe gekauft. So ist es richtig.

Denn die spannendste Frage am Buy Nothing Day lautet: Gibt es guten und bösen Konsum? Nach zwei Jahren der Rezession gilt Konsum als erste Bürgerpflicht. Die Regierung wirbt für den Aufschwung mit vollen Einkaufstüten. Aber wofür geben wir das Geld aus?

Sicherlich sind Dienstleistungen grundsätzlich korrekter, was die direkten sozialen und umweltpolitischen Folgen angeht. Eine U-Bahnfahrt verbraucht weniger Energie und verursacht weniger Schadstoffe als der Kauf eines Geschirrspülers. Aber was, wenn der Geschirrspüler so viel Wasser und Strom spart, dass er umweltfreundlicher ist als das Spülen mit der Hand? Einen Flug nach Ibiza sollte man am Buy Nothing Day sicher nicht buchen. Sie wollen Blumen kaufen? Hmm. Wissen Sie, wo die herkommen und wer sie unter welchen Bedingungen gezüchtet hat?

Damit die interessierten Verbraucher (die meistens Verbraucherinnen sind) vor diesen Fragen nicht vollends kapitulieren, hat ihnen vor einem Jahr der nationale Rat für Nachhaltigkeit einen Wegweiser an die Hand gegeben: den „nachhaltigen Warenkorb“ (siehe Kasten). Anhand dieser Checkliste sollen wir unser Einkaufsverhalten ausrichten, wenn uns die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen unseres Konsums nicht egal sind.

Sind sie aber. Denn wir angeblich „aufgeklärten Verbraucher“ versagen regelmäßig, wenn es um die „Politik mit dem Warenkorb“ geht: 83 Prozent der Deutschen sagen, sie bevorzugen Eier aus Freilandhaltung. Doch 60 Prozent der verkauften Eier stammen aus Käfighaltung. Zwei Drittel der Befragten wollen die Umwelt auch beim Stromverbrauch schonen und wünschen sich Energie aus Wind und Wasser. Tatsächlich beziehen nur zwei Prozent der Deutschen grünen Strom aus erneuerbaren Energien. Und alle wünschen sich das Dreiliterauto. Aber wenn VW mit dem Lupo und dem Audi A2 auf den Markt kommt, lassen sie die Produktion bald wieder auslaufen. Begründung: Keiner kauft diese Magerautos.

Beim Gang über den Wochenmarkt bleibt die Brieftasche zu. Keine Äpfel aus dem Berliner Umland, keine Zucchini und Apfelsinen vom Fruchthof. Dafür ein Sonnenblumenbrot beim Biobäcker. Auch am Buy Nothing Day ist es richtig, im Bioläden zu kaufen. Apfelsaft, Weingummi und Windeln brauche ich zum Glück heute nicht. Da bleibt mir Aldi erspart. Auf dem Rückweg laufe ich an drei Läden vorbei, die Billigstklamotten anbieten. Es kann ganz entlastend sein, nichts kaufen zu wollen. Wer kein Geld ausgibt, kann nichts falsch machen.

Das stimmt natürlich nur begrenzt. Zu Hause lege ich mich aufs Bett und ziehe mir die Decke über den Kopf. Selbst wenn ich den ganzen Tag zu Hause bliebe und mir die Decke über den Kopf zöge, rechne ich dann, bin ich doch dauernd am Kaufen: Kita-Gebühren, Miete, das Abo für die Zeitungen, Grundgebühr fürs Telefon, Versicherungen. Auch wenn ich nur Luft atme, gebe ich jeden Tag knapp 30 Euro aus. Da hilft auch ein Tag ohne Warenaustausch nicht viel.

Deswegen gebe ich dann am Abend auch auf. Mit vier Kindern landen wir in der „Knüller-Kiste“, wo alles 55 Cent kostet: Seifenblasen, ein Minidüsenjet, Softpornohefte, eine Gipsbüste von Johann Strauss, Christbaumkugeln, ein Schaber zum Raspeln von Gemüse, ein Schaber zum Raspeln von Hornhaut an den Füßen, Bücher über Ufo-Sekten, Luftschlangen, Mausefallen. Ein Ramschtempel des nicht nachhaltigen Konsums, ein Paradies für Zwei- bis Vierjährige.

Doch die Auswahl meiner Testgruppe ist erstaunlich rational: Radiergummi, Bleistiftspitzer (braucht man jeden Tag), eine Puppe (immer zu gebrauchen), ein Schnorchel (braucht man, wenn man Schwimmen lernt). Hat sich der Gedanke eines nachhaltigen Konsums etwa schon weiter rumgesprochen, als angenommen? Jedenfalls argumentiert die Verkäuferin bei Karstadt wie Kalle Lasn, als sie uns ein teures Topfset schmackhaft machen will: „Wir sind viel zu arm, um billig zu kaufen.“