: Billig willich
UNTERNEHMEN – In Hamburg gibt es seit 2004 das erste Discountbordell. Das Konzept ist so erfolgreich, dass die Betreiber jetzt Lizenzen für Franchise-Unternehmen anbieten
Das Discountbordell „Geizhaus“ wirbt um seine Kunden übers Internet. Mit grünem Layout, gelber Schrift und dem Comic-Geier wirkt die Homepage eher so, als könnte man hier besonders billig Fertigmöbel oder sonstigen Profankram kaufen. Doch bei genauerer Betrachtung erkennt man, dass die Ware hier nicht die Bürostühle, sondern die darauf sitzenden Frauen sind. Unter der Rubrik „Geizhaus Girls“ gibt’s die nötigen Produktdetails wie BH-Größe, Gewicht und die angebotenen Dienstleistungen. Dazu noch ein Bild von den Frauen: nackt oder in Unter- oder Reizwäsche. Dauerhafte Fleischbeschauung mal mit, mal ohne gepixeltes Gesicht. Außerdem der Hinweis „Das Geizhaus ist immer noch ein Bordell, deswegen erwarten wir, dass sich die Gäste umgehend für eine Dame entscheiden.“ Es gilt also auch für die Freier: Akkordarbeit.
VON KATHARINA FINKE
Zwischen den anderen Mehrfamilienhäusern aus rotem Backstein fällt das kleine weiße Haus im Hamburger Stadtteil Wandsbek nicht besonders auf. Dass hier keine Familie wohnt, ahnt man erst, wenn man die zwei Plastikpalmen vor dem Eingang und den grellgrünen Logos, die vor jedem Fenster leuchten, sieht. Darauf: ein Geier und der Schriftzug „Geizhaus – Geiz macht geil.“
Das Geizhaus nennt sich Discountbordell. Also ein Puff nach dem Aldi-Prinzip: keine aufwändige Einrichtung, keine ausgesuchte Präsentation, sondern ganz einfach nur Körper. Hauptsache billig. Ohne rote Lampen, Plüsch, Schnickschnack oder Glamour. Der Preis klingt auch schwer nach Supermarkt: „Eine halbe Stunde kuscheln, schmusen und Verkehr in unterschiedlichen Stellungen für 38,50 Euro.“ Zeit ist Geld, das scheint das Motto des Hauses. Woanders zahlt man nach Leistung, hier pro halbe Stunde.
Merksprüche wie im Büro
12.57 Uhr. Es klingelt. Ein Mann steht vor der Tür. Drei Minuten zu früh, eigentlich öffnet das Bordell erst um eins. Der Mann trägt einen beigen Pulli, eine Jacke im gleichen Farbton und braune Lederschuhe – ein durschnittlicher Typ. „Hallo, grüß dich!“, sagt Anke und begleitet ihn in den Barraum. Er setzt sich auf einen mit Satin bezogenen Barhocker an die Theke. Hier steht ein Schild mit der Aufschrift: „Freundlichkeit ist ein Bumerang“. Darunter: „Sie kommt immer zurück“. „Das ist unser Leitspruch“, sagt Anke stolz und holt den Geizdollar hervor. Ein gelber Plastikchip, ähnlich wie das Ersatzgeld bei Club Med.
Über Anke hängt ein Schild: „Die Geschäftsleitung weist darauf hin, dass sich die Gäste im Geizhaus zu benehmen haben.“ Freundlich fragt sie den Gast: „Hast du einen bestimmten Wunsch?“ – „Nee“, antwortet er, „erst mal gucken!“
Seit 2004 leiten die Barfrauen Gaby, Doris und Anke das Bordell. Über acht Jahre arbeiteten sie vorher im Hamburger Milieu und wollen zeigen, dass es auch anders geht: „Mit unserem Konzept wollen wir beweisen, dass billig nicht gleich schlecht ist.“ Die Geizkultur ist weit verbreitet. Die Leute zahlen immer weniger. Auch für Sex. So entstand die Idee für das Geizhaus.
Nebenan im Aufenthaltsraum sitzen sieben Damen. Mary trägt gerade roten Lippenstift auf, kämmt die fransigen Haare zurück und sprüht sie mit Haarspray ein. Dabei hüpfen ihre Brüste aus dem eng anliegenden schwarzen Kleid. Jetzt leuchtet eine Digitalanzeige mit drei roten Zahlen auf: 000. Schnell stolzieren alle sieben Damen nacheinander in den Barraum. Sie stellen sich mit Pseudonym und Spitznamen vor: „Hi, Schneewittchen“ sagt Jenny. „Mary – Lauschhörnchen“, sagt Mary. Zurück im Aufenthaltsraum wird der Gast kommentiert. „Der riecht ja schon nach Tod!“, sagt Jenny. 12.58 Uhr. Die Anzeige leuchtet wieder auf: 001. Jennys Nummer. Sie schnappt sich ein hellrosa Handtuch. In Leopardenstiefeln, knappem schwarzem Top und Tanga verlässt sie den Raum. Alle anderen setzen sich auf die rote Samtsitzbank. Einige hüllen sich in rosa Frotteemäntel, andere in rote Fleecedecken.
13.01 Uhr. Es klingelt. 000. 008 ist dran. 13.06 Uhr. 015. Das Zeichen für Chantal. Diesmal ohne Parade. 13.12 Uhr. 000. „Der Sack lässt uns schon wieder alle laufen!“ 025. Mary. Jenny kommt zurück. Sie setzt sich auf die rote Sitzbank. An den Wänden hängt der Plan für das Vierschichtsystem: zwei Tag- und zwei Nachtschichten. Eine Schicht dauert fünf Stunden. Die Damen gucken Fernsehen und unterhalten sich. „Manche riechen so ekelhaft nach altem Schlüpfer“, sagt Mary, „da hilft’s auch nichts, wenn man sich dreimal schrubbt.“ – „Aber normalerweise reicht eine kleine Muschiwäsche zwischendurch“, fügt Jenny hinzu. „Brauche ich für die Genossenschaft eine Schufa-Bescheinigung?“, fragt Mary. „Nein, Kuschi“, antwortet Jenny, „nur die Arbeitspapiere.“
13.20 Uhr 000. 001. Jenny geht wieder in eines der Zimmer. Ein Bett mit grünem Spannbettlacken, Küchenrolle, Spiegel und kleiner Nachttischlampe. „Die Mädchen nehmen das Zimmer, das gerade frei ist“, erklärt Anke, „Sie müssen nur darauf achten, dass die Betten sauber sind.“ 13.40 Uhr. 015. 13.55 Uhr. 000. 001. „Rein raus, rein raus! Das ist mir lieber, als die ganze Zeit zu warten“, sagt Jenny. Sie ist 31, zweifache Mutter und hat früher im Kosmetikstudio gearbeitet. Sie hat Erfahrungen mit anderen Bordellen. „Dort war es viel anstrengender, weil ich Miete zahlen und selbst putzen musste“, erklärt sie. Im Geizhaus bietet sie verschiedene Stellungen und Oralverkehr. Seit fast vier Jahren. Für sie ist es ein Doppelleben, von der auch ihre Familie weiß. „Meine Gefühle bleiben vor der Tür, wenn ich ins Geizhaus gehe“, sagt sie. Außerdem gebe es Grenzen für sie, um ihre Privatsphäre zu schützen. Erst kam ihr Freund damit klar. Doch nach zwei Jahren trennte er sich von ihr. Obwohl sie die Arbeit, ihm zuliebe, für ein halbes Jahr aufgegeben hatte. Das würde sie wieder tun für jemanden, den sie liebt. Sie kann sich ohnehin vorstellen, bald mit dem Job aufzuhören. „Man geht sonst kaputt. Außerdem will ich meinen Kindern erzählen können, wo ich arbeite“, sagt sie. 14.50 Uhr. 000. 001. Wieder Jenny. „Los, geh dich prostituieren!“, sagt Jasmin. 14.55 Uhr. 000. 007. Jasmin ist dran: „Hast du ein paar Gummis für mich?“ „Schwarze oder weiße?“ 15.02 Uhr. 000. 001. 15.03 Uhr. 000. 025. 15.05 Uhr. 000. 015.
„Derzeit ist es wie russisches Roulette“, erklärt Mary. Man könne sich nicht mehr darauf verlassen, wann und wie häufig die Gäste kommen. Seit der Finanzkrise habe sich viel verändert. „Die Gäste wollen Frust loswerden. Dafür aber möglichst wenig zahlen. Das geht oft zu weit“, sagt sie. „Für einen Pissgroschen erwarten sie eine zweite Hochzeitsnacht! Sie denken, es wäre normal, wenn sie den Finger in die Muschi stecken oder fragen: Kannst du mir mal die Eier lecken?“
Das Gute am Geizhaus sei, dass sich die Frauen ihre Zeit frei einteilen könnten. Außerdem wird ihnen nicht vorgeschrieben, was für Sonderwünsche sie erfüllen müssen. „Aber der Druck ist groß. Denn je mehr man anbietet, umso lieber kommen die Gäste“, sagt Mary. Die Gäste verwenden Geheimkodes wie „Natursekt“ oder „spanisch“. Jede Entschlüsselung kostet aber einen Geizdollar „38,50 Euro“ extra. Mary arbeitet in Doppelschichten. Zeitweise 14 Stunden täglich. Sechsmal die Woche. Sie ist 31 und hat einen Sohn. Außerdem gesundheitliche Beschwerden wegen der Heizungsluft, des Nikotins und Schlafmangels. „Ich kann es mir nicht leisten, weniger zu arbeiten!“, sagt sie. „Zu viele Verbindlichkeiten und Schulden von meinem alten Job.“ Dabei klingt sie fast verzweifelt. Früher hatte Mary Versicherungen verkauft und Provision dafür bekommen. Die musste sie dann aber wieder zurückzahlen, als die Versicherungsverträge geplatzt waren. Aber für die Zukunft hat sie einen Plan: „Eröffnung eines Textildiscountgeschäfts. Die Masse kauft billig! Der Geiz der Menschen ist die einzige Chance.“ 15.35 Uhr. 000. 001. 15.46 Uhr. 000. 025. 16.03 Uhr. 000. 001.
„Wenn weniger los ist, muss ich die Mädchen motivieren“, sagt Anke. Sie ist neunfache Großmutter. „Mir ist es wichtig, die Mädchen zu beschützen. Deswegen wird schon am Eingang aussortiert. Wenn jemand die Mädchen öfters laufen sehen will, ist das nur Fleischbeschauung!“ Aufgrund der vielen Stammgäste sei das aber selten. 17.23 Uhr. 000. Paradelauf. 001. 17.36 Uhr. 000. 004. Langsam treffen die Abendgäste ein. „Tagsüber wollen viele nur Druck ablassen. Aber abends kann es ganz schön anstrengend sein, wenn sie lange vögeln wollen“, sagt Mary, „Sex ist Routine! Aber Spaß macht das nicht!“
Pro Schicht gibt es ca. 60 Euro
17.43 Uhr. 000. 025. 17.50 Uhr. 000. 001. 18 Uhr. Feierabend. Abrechnung. Jenny hatte zehn Gäste. 200 Euro nimmt sie mit nach Hause. Es ist 18.01 Uhr, und die Ampel vor dem Geizhaus zeigt Rot. Das bedeutet: Die Bude ist voll. Höchste Zeit also, dass das Geizhaus mehr Platz bekommt. Der Umzog ist schon beschlossen: Satte 700 Quadratmeter sollen bald zur Verfügung stehen. Der Sexdiscounter scheint sich durchzusetzen.