keltisches eintrichtern von RALF SOTSCHECK
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Irland – die Insel der Trichter und geleerten Gläser. Täglich kippen sich die Iren Alkohol im Wert von acht Millionen Euro hinter die Binde. Im Jahr kostet der nationale Vollrausch drei Milliarden – das sind tausend Euro pro Erwachsener. In Wirklichkeit tragen die Kinder aber erheblich zum Umsatz bei: Die Hälfte aller Elfjährigen war schon mal betrunken, und bei den 15-Jährigen liegt Irland in Europa einsam an der Spitze, was das Eintrichtern von Alkohol angeht.

Seamus ist nicht mehr so jung, aber er hat einen Riesenanteil an der Statistik. Er lebt in Newtowncashel, einem kleinen Dorf in den Midlands, wo es außer dem Pub keine Freizeiteinrichtungen gibt. Vor einem Jahr hat er seinen Job verloren, getrunken hat er aber schon vorher. Die Abfindung in Höhe von 90.000 Euro hätte seine Firma gleich dem Wirt überweisen können. Als ich das letzte Mal in Newtownsachel war, bestellte Seamus um Mitternacht sein 34. großes Bier an diesem Tag. Danach fuhr er besonders vorsichtig nach Hause.

Irland ist eins der wenigen Länder, in denen Frauen genauso viel bechern wie Männer. Maeve zum Beispiel. Neulich war sie so betrunken, dass sie sich im vornehmen Lehrerclub mit einer ebenso betrunkenen Deutschen auf dem Boden wälzte und herumknutschte, während ihr Mann eifrig Fotos machte. Als er ihr die Bilder am nächsten Abend im Pub zeigte, hatte sie alles vergessen. Am folgenden Abend, wieder im Wirtshaus, konnte sie sich auch nicht mehr an die Fotos erinnern. Die für Frauen empfohlenen 14 Einheiten Alkohol pro Woche schafft Maeve an einem Vormittag.

Der Kollektivkater der 1,7 Millionen Arbeitnehmer führt zu zehn Millionen verlorenen Arbeitstagen, umgerechnet macht also jeder eine Woche blau. In den vergangenen zwölf Jahren ist der Alkoholkonsum in Irland um die Hälfte angestiegen. „Das liegt am Wirtschaftsboom“, meint Herr Anderson, Hilfsdirektor einer Alkoholikerhilfe. „Ich mache mir große Sorgen, dass die selbst aufgestellte Regel der Getränkeindustrie, Alkohol nicht als Sexpotenzmittel zu vermarkten, ständig gebrochen wird.“ Er sorgt sich zu Recht: 35 Prozent aller irischen Kinder verlieren im Rausch ihre Jungfräulichkeit.

Bertie Ahern ist der Vortrinker der Nation. Früher habe man ihn öfter aus der Kneipe tragen müssen, prahlte er. Damals war er Fraktionschef der „Soldaten des Schicksals“, wie seine Partei Fianna Fáil auf Deutsch heißt. Inzwischen ist er Taoiseach, was Häuptling bedeutet, aber heutzutage eher mit „Premierminister“ übersetzt wird. Er ist nicht nur in seinem keltischen Trinkverhalten vorbildlich, sondern zeigt auch bei der Steuermoral seine Häuptlingsqualitäten: Er habe früher häufig schwarz gearbeitet, erklärte Ahern. Jetzt steht er, steuerlich gesehen, auf der Gegenseite und hat die indirekten Steuern so schamlos erhöht, dass viele seiner Landsleute zur Schwarzarbeit gezwungen sind, wollen sie ihm in Sachen Alkoholmissbrauch nacheifern.

Schwere Trinker ziehen vier bis zehn Personen, die ihnen nahe stehen, in Mitleidenschaft, besagt die Statistik. Hochgerechnet sind das 1,6 Millionen Iren, fast die Hälfte der Bevölkerung. Ahern schafft sie alle: Unter seiner Politik des Schreckens leiden alle 3,5 Millionen Einwohner.