Stapelweise Kunst

Ein Discounter im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit: Seit heute gibt es bei Aldi handsignierte und nummerierte Künstlerdrucke zum Preis von 12,99 Euro zu kaufen

Ausgerechnet „Silberfinger“ heißt eine der beiden Grafiken, die der Beuys-Schüler Felix Droese in den letzten Tagen für den Lebensmittel-Discounter Aldi signierte, zumindest für dessen Filialen im Bereich Aldi-Süd. Auch wenn ihm nach 20.000 Unterschriften der Finger, der den Stift führte, ganz schön weh getan haben muss – jetzt weiß er wenigstens, wie sich der Finger anfühlt, den er so klug versilbert hat.

Der Documenta- und Biennale-Teilnehmer war es, der auf die Idee kam, jetzt zu Weihnachten die Kunst endlich richtig unter die Leute zu bringen. „Wenn ich das richtig verstanden habe, kommen dann 140.000 Kunstwerke auf den Markt – man sieht die Unterversorgung“, kommentiert Droese seinen Feldzug in die Niederungen des Alltags, den er gemeinsam mit einem guten Dutzend Kollegen beschreitet. Die signierten und gerahmten Arbeiten, die ab heute in den Supermarktregalen liegen, kosten 12,99 Euro. Auf der Rückseite der Grafiken können sich die Käufer über den Lebenslauf des jeweiligen Künstlers informieren.

Der 1950 geborene Droese, der für seine riesigen, auch schon mal mit Kuhmist oder Blut ausgemalten Holzschnitte zu existenziellen Themen wie Leben und Tod, Geschichte und Gegenwart bekannt ist, sieht sein Renommee nicht bedroht: „Meine Reputation besteht gerade darin, dass ich die Situationen umdrehe.“ Nicht mehr der Kunsthändler sei am Zuge, sondern der Käufer. In den Zwanzigerjahren hätten übrigens Berliner Kaufhäusern wie KaDeWe und Wertheim Bilder heutiger Klassiker wie Käthe Kollwitz und Otto Nagel für ein paar Mark verkauft.

Man könnte nun meinen, die Aktion ziele darauf, die Kunst tiefer zu hängen, ganz im Sinne des Vorschlags, den der Münchner Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich kürzlich im Form eines schlanken Taschenbuch bei Wagenbach publizierte. Sie ziele tatsächlich darauf, Kunst nicht mehr als das „ganz Andere“, den Ausnahmezustand, zu begreifen, sondern als eine Ware unter anderen, die, wie andere Waren auch, erfreuen kann, zufrieden stellen kann und in diesem Rahmen wert geschätzt wird. Warum soll, was in Vorstandsetagen Statussymbol und Imagefaktor ist, nicht auch im steuersubventionierten Eigenheim selbstverständlich zur (kulturellen) Einrichtung gehören? Dass die Auflage etwas höher als gewöhnlich ist, muss da nicht weiter stören. Die Erfahrung lehrt, dass einstmalige Massenware ein paar Dekaden später am rarsten zu finden ist.

Allerdings macht das Konkurrenzangebot des Essener Schwesterunternehmens Aldi-Nord stutzig. Hier gibt es seit vergangenen Mittwoch die Bibel zum Sonderpreis von 11,99 Euro. Aldi versteht Kunst eben doch als Religion. Wer nicht zur Kunst greifen mag, greift notwendigerweise zur Bibel, anders können und wollen sich die Discounter ihre Vermarktung von Kulturgut nicht vorstellen.

BRIGITTE WERNEBURG