: Im Büßergewand in den Wahlkampf
DIETER ALTHAUS Nach fast fünf Monaten nimmt der thüringische Ministerpräsident wieder seine Amtsgeschäfte auf. Er sagt, er sei wieder 100-prozentig fit. Aber er „trägt schwer“ an der Erfahrung des Unfalls
AUS ERFURT MICHAEL BARTSCH
Nach einer Stunde lächelte Dieter Althaus beim Abgang von der Pressekonferenz erstmals kurz und gequält in eine Kamera. An seinem ersten offiziellen Arbeitstag nach dem Skiunfall am Neujahrstag stand zwar ein routinierter und körperlich erholter Ministerpräsident vor den Journalisten. Aber ein ernster Zug um den Mund und unruhige Augen prägten das Gesicht. Auch früher hatte er manchmal einen verkniffenen Ausdruck gehabt. Gelegentlich wirkte er abwesend. Einen mitreißenden Wahlkämpfer stellt man sich zwei Monate vor der Kommunalwahl und vier Monate vor der Landtagswahl in Thüringen anders vor.
An den Zusammenstoß mit einer 41-Jährigen auf einer Skipiste in Österreich am Neujahrstag kann sich Althaus nach wie vor nicht erinnern. Sein schweres Schädel-Hirn-Trauma war in Österreich und im Universitätsklinikum Jena behandelt worden, bevor er sich einer umfangreichen Rehabilitation in Allensbach am Bodensee und im heimatlichen Heiligenstadt unterzog. Anfang März wurde er in einem Blitzverfahren in Österreich wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Streng vor der Öffentlichkeit abgeschirmt, fand Mitte März ein Parteitag der Thüringer CDU ohne ihn statt. Dort wurde er dennoch mit großer Mehrheit zum Spitzenkandidaten der Union für die Landtagswahlen am 30. August gewählt. Zeitgleich gab Althaus der Bild-Zeitung bereits ein exklusives Interview, was für allgemeine Verstimmung bei Parteifreunden sorgte.
Dieses Interview und andere Ungereimtheiten seiner Rückkehr-Inszenierung habe er nicht zu bedauern, sagte Althaus am Montag. Wie er bei seinem vorbereiteten Statement überhaupt bemüht war, den Eindruck von Normalität zu vermitteln. Es ging um die Wirtschaftslage in Thüringen, die Rettung von Opel und die Krise im Allgemeinen, die Bildungspotenzen des Landes und die Familienpolitik.
„Ich fühle mich fit, ich freue mich, wieder voll in Verantwortung zu stehen!“ Auch solche Sätze sollten beruhigen. Demonstrativ listete der Ministerpräsident den Terminkalender der kommenden Wochen auf. Einweihungen und Ausstellungseröffnungen, aber auch eine Präsidiumssitzung der Bundes-CDU und der Wahlparteitag der Thüringer Union. Erst in der Fragerunde zeigte sich ein sehr nachdenklicher Dieter Althaus. Alles, was Menschenwürde und ethische Dimensionen in Wirtschaft und Politik ausmache, habe eine größere Bedeutung für ihn bekommen. „Das Leben kann sehr zerbrechlich sein“, sagte er. Fehler könnten bei dieser Gratwanderung eine Rolle spielen.
Dennoch gewann man den Eindruck, dass Althaus mit diesem Nachdenken noch nicht zu einem relativen Ende gekommen ist. Erneut wich er einem persönlichen Schuldbekenntnis wegen seiner fehlenden Erinnerung aus. Althaus bezog sich lediglich auf das gerichtliche Gutachten, das ihm Fehlverhalten auf der Piste bescheinigt hatte. Sein Tonfall bleibt dabei seltsam einförmig. Der Mensch Althaus verschanzt sich hinter dem Politiker Althaus. Selbst als er auf seinen Skiunfall zu sprechen kommt, verrät seine Stimme keinerlei Emotionen. Der Skiunfall habe sein Leben und vor allem das Leben der Familie der getöteten Skifahrerin, die ein einjähriges Kind zurückließ, „nachhaltig belastet“, sagt Althaus und fügt hinzu: „Ich trage schwer daran.“ Am Sprachduktus fielen bei dieser Gelegenheit seine DDR-Sozialisation auf: die Schwierigkeit, „Ich“ zu sagen, der Verweis auf Autoritäten wie den Bundespräsidenten, der Dank dafür, bei politischen Entscheidungsprozessen mitwirken zu dürfen.
An seinem Rückkehrwillen „von der ersten Stunde an“ ließ Althaus keinen Zweifel. Auch der Erwartungsdruck seiner Partei auf ihren unverzichtbaren Spitzenkandidaten sei keine Last, sondern Motivation. An einen Amtsverzicht habe er nie gedacht.
Die hundert Prozent Einsatzfähigkeit, die der Ministerpräsident sich selbst bescheinigte, wird er auch benötigen. Seine politischen Gegner Christoph Matschie von der SPD und Bodo Ramelow von der Linken haben bereits ein Ende der Schonfrist angekündigt und ihn aufgefordert, den Stillstand der vergangenen Monate zu beenden. Die Opposition kündigte an, die politische Auseinandersetzung mit Dieter Althaus sachlich zu führen.