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Archiv-Artikel

„Was können die für mich tun?“

Im Kriegsgebiet Darfur werden systematisch Frauen vergewaltigt. Doch nur wenige lassen sich helfen

KALMA taz ■ Kalma ist eines der größten Vertriebenenlager von Darfur. Beinahe 100.000 Einwohner leben auf einer großen Sandfläche ein wenig außerhalb von Nyala, der Hauptstadt der am stärksten vom Krieg betroffenen Provinz Süddarfur. Unter einem kleinen Dach, gefertigt aus Ästen und Plastiktüten, sitzt Fatma Adam Ahmed. Die 18-Jährige ist hochschwanger. Vor neun Monaten wurde sie in ihrem Heimatdorf Bindis von zwei arabischen Janjaweed-Milizionären vergewaltigt.

„Das Baby kommt bald“, sagt Fatma und massiert ihren dicken Bauch. „Ich liebe das Kind, aber ich mache mir Sorgen, was meine Zukunft angeht. Ich fürchte, keiner wird mich heiraten, denn jetzt weiß ja jeder, dass ich keine Jungfrau mehr bin.“

Vergewaltigungen gelten in der konservativen sudanesischen Gesellschaft als Schande. Nicht nur für das Opfer, sondern auch für dessen Familie und den ganzen Stamm. Es wird so wenig darüber gesprochen wie möglich. „Wir wissen, dass Frauen vergewaltigt worden sind und noch immer vergewaltigt werden“, berichtet eine Mitarbeiterin der Hilfsorganisation Medécins du Monde in Kalma. „Manchmal behandeln wir welche von ihnen. Aber sie weigern sich, über das Vorgefallene mit uns zu reden“, sagt sie desillusioniert.

Fatma mit ihrem runden, kindlichen Gesicht lehnt sich an ihre Mutter. Sie sieht keinen Grund, warum sie ihre Geschichte Hilfsorganisationen erzählen soll. „Was können die noch für mich tun?“, fragt sie. „Es ist geschehen. Ich muss damit leben und versuchen zu vergessen. Nicht nur die Vergewaltigung – auch den Angriff auf unser Dorf, die Toten und die Verwüstungen.“

Fünf andere junge Frauen, die im Kreis um sie herum sitzen, nicken zustimmend. Auch sie sind Vergewaltigungsopfer, und sie reden mit den fremden Besuchern nur, weil der Scheich vom Volk der Fur sie darum gebeten hat. Die Frauen vermuten, dass in ihrem Teil des Lagers, im Sektor 2, etwa 60 vergewaltigte Frauen unter den 900 Familien sind.

Sudans Regierung hat eine Kommission eingerichtet, um die Vergewaltigungsvorwürfe zu untersuchen. Die Gruppe besteht aus drei Richterinnen, drei Anklägerinnen und drei Polizistinnen, hat aber laut Regierungsangaben noch keine Ergebnisse erzielt.

Die fünf Frauen in Kalma lachen, wenn die Kommission erwähnt wird. „Die werden nichts herausfinden, weil sie nichts herausfinden dürfen“, sagt Mariam Musa Hasabalah. Sie war im sechsten Monat schwanger, als sie vergewaltigt wurde. Ihren Sohn hat sie inzwischen geboren. Sie und das Baby sind heute auf sich gestellt, denn außer ihr hat kein weiteres Mitglied ihrer Familie den Milizenangriff auf ihr Dorf Shataye überlebt.

Vergewaltigung ist weltweit eine Kriegswaffe, sagt eine sudanesische Menschenrechtsaktivistin in der Hauptstadt Khartum, die selbst aus Darfur stammt. „Für Darfur aber scheint es, als existiere ein systematischer Plan. Die Vergewaltigungen richten sich nicht nur gegen die Frauen, sondern gegen die Ehre der Männer, die in der traditionellen Kultur die Frauen beschützen sollen. Wir hören von Gruppenvergewaltigungen von Frauen vor den Augen der Ehemänner, Väter und Brüder. Das macht auch die Männer psychisch kaputt.“

Die Menschenrechtsaktivistin meint, dass Sudans Regierung in Darfur alte Animositäten zwischen Bauern afrikanischer Herkunft und arabisierten Hirtenvölkern ausnutzt. Meist gehe es dabei um Landstreitigkeiten. „Khartum hetzt die nomadischen Janjaweed-Kämpfer auf, um zu morden, zu plündern und zu vergewaltigen. Das Leugnen der Massenvergewaltigungen deutet darauf hin, dass die Regierung diese selbst befohlen hat“, sagt sie. „Dabei gibt es über die Vorfälle so viele Berichte.“

Juristische Hilfe für Vergewaltigungsopfer ist schwierig. Manal Abdel Halim, Direktorin der sudanesischen Anwaltsorganisation Mutawinat, hat Angst. „Menschen in der Regierung haben mir gesagt, dass unsere Organisation dichtmachen kann, wenn wir uns damit befassen“, sagt sie. „Darum suchen wir jetzt ausländische Organisationen, unter deren Fahne wir arbeiten können.“ Denn es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Sudanesen weniger um ihr Leben fürchten müssen, wenn sie unter den Fittichen internationaler Organisationen ermitteln und arbeiten.

Manal Abdel Halim sagt, dass ihre Gruppe brauchbare Expertisen liefern kann. „Es muss ja auch in die Zukunft geschaut werden“, sagt sie. „Mit unserer Kenntnis der Gesetze und der lokalen Kultur können wir die traditionellen Führer überzeugen, dass vergewaltigte Frauen nicht aus der Gesellschaft verstoßen werden, wie es jetzt der Fall ist. Wir müssen ihnen klarmachen, dass Vergewaltigung keine Schande über ihren Stamm bringt.“

Einzelklagen gegen Vergewaltiger haben ihrer Einschätzung nach keine Chance auf Erfolg. „Die Täter sind meist Mitglieder von Hirtenvölkern. Die sind nach der Tat längst schon wieder weitergezogen, verschwunden in der Sahellandschaft. Zudem können Frauen die Täter meist nicht wiedererkennen, weil Männer oft einen Teil ihres Turbans über den Mund ziehen, als Schutz gegen den Sand.“ Eher könnten vielleicht Verantwortliche für die Vergewaltigungen in Darfur vor Gericht gestellt werden. Aber wohl kaum im Sudan selbst. Der Internationale Strafgerichtshof wäre die beste Instanz für einen solchen Prozess. ILONA EVELEENS