: Richter fordern Grenzen und Mauern
Die wachsende Jugendkriminalität wollen die NRW-Richter mit Knast und geschlossenen Heimen bekämpfen. Außerdem fordern sie eine strengere Erziehung des Nachwuchses. Justizminister hält Vorschläge für zu populistisch
DÜSSELDORF taz ■ Die nordrhein-westfälische Richterschaft will geschlossene Heime und einen „Warnschuss-Arrest“ für straffällige Jugendliche einrichten. In dem Papier, das der Landesverband des deutschen Richterbunds gestern bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf präsentierte, fordern die Richter außerdem eine „Erziehungsoffensive“. „Die Kinder werden nicht mehr erzogen“, beklagt Geschäftsführer Jens Gnisa gegenüber der taz. Lehrer und Eltern hätten keine Autorität mehr.
Angesichts der stark gestiegenen Kinder- und Jugendkriminalität sei ein Umdenken in der Erziehung notwendig. „Die Erwachsenen müssen Grenzen setzen“, so Gnisa. Lehrer müssten beispielsweise auffällige Kinder zu Gemeinschaftsaufgaben verpflichten. Die Straftaten von Jugendlichen bis 20 Jahren sind in Nordrhein-Westfalen seit 1987 um 76 Prozent angewachsen. Eine der Ursachen dafür könnte sein, dass die Mädchen „aufholen“: Die Zahl der jugendlichen Straftäterinnen stieg in den vergangenen Jahren auf 35 Prozent.
Die Forderungen unionsregierter Bundesländer nach einer früheren Strafmündigkeit, höheren Höchststrafen und Sicherungsverwahrung auch schon für Jugendliche lehnen die Richter in NRW ab. Heranwachsende, also 18 bis 20-Jährige, sollten aber ihrer Meinung nach nur noch im Ausnahmefall nach dem milderen Jugendstrafrecht verurteilt werden. In ihrem Papier beklagen die Richter außerdem die große Zeitdauer zwischen der Verurteilung eines Jugendlichen und der Vollstreckung der Strafe. „Eine Strafe ist erzieherisch wertlos, wenn sie erst ein Jahr nach der Verurteilung greift“, ist sich Gnisa sicher. Noch in der Diskussion sei bei den Richtern der Vorschlag, Verstöße von Jugendlichen während der Bewährungszeit schärfer zu ahnden.
Kritik kommt aus dem Landesjustizministerium: „Ich bin nicht für Schnellschüsse“, wendet sich Gerhards vor allem gegen den richterlichen Vorschlag eines so genannten Warnschuss-Arrests, die Koppelung einer abschreckenden Haftstrafe an eine Jugendstrafe, die meist zur Bewährung ausgesetzt wird. Gerhards unterstütze jedoch „alle Bestrebungen, Fehlverhalten von Jugendlichen schnell zu bestrafen.“ Die Strafe müsse der Tat auf den Fuß folgen.
Auch die Mülheimer Kommissarin für Vorbeugung, Annchen Brendle, wendet sich gegen härtere Gesetze. „In Ländern mit Todesstrafe werden auch nicht weniger Verbrechen verübt“, argumentiert sie. Außerdem gebe es bereits heute eine große Bandbreite an Strafmöglichkeiten. Die Forderung einer Wiedereinrichtung von geschlossenen Heimen hält Kommissarin dagegen für legitim. „Im Gegensatz zum Knast werden Jugendliche dort intensiv betreut“.
Diese Aussage bezweifelt wiederum Wolfgang Patra, Referent für Jugendgerichtshilfe beim Jugendamt in Dortmund. „Geschlossene Heime bringen gar nichts“, sagt er. Diese seien nur „ein Zeichen der Hilflosigkeit von Pädagogen“. Nicht umsonst hätte man solche Plätze seit den 1970er Jahren fast ganz abgebaut.
NATALIE WIESMANN