: Weniger Anspruch, mehr Engagement
Sozialsenatorin kürzt Kita-Etat um 44 Millionen Euro und gefährdet die Arbeitsplätze von 400 bis 600 ErzieherInnen. Betreuer von Kindergruppen werden um ein Viertel reduziert. Diakonie rechnet mit Gruppengrößen von 27 Kindern
von Kaija Kutter
Gestern ließ Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) die Katze aus dem Sack. Sie verkündete, wie wenig Geld sie in 2005 und 2006 für die Kinderbetreuung auszugeben bereit ist: 321 Millionen Euro und damit 27 Millionen Euro weniger als noch in 2004. „Wir brauchen einen Wandel im Anspruchsdenken“, sagte die Senatorin und verlangte zugleich von den Mitarbeitern „zusätzliches Engagement“.
Vielen dürfte dies nicht mehr möglich sein. Umgerechnet auf die mageren Erziehergehälter stehen nun 400 bis 600 Entlassungen an. Dafür werden die Kita-Gruppen größer. „Maßvoll“ sei deren Anhebung, sagte Schnieber-Jastram. Künftig hätten in Krippengruppen 13, in Elementargruppen 22 und in Hortgruppen 24 Kinder zu sein, für die „fast anderthalb“ ErzieherInnen zur Verfügung stünden.
Das Diakonische Werk legte gestern andere Zahlen vor. „Während nach heutigem Standard 20 Kinder in einer Gruppe sind, müssten künftig die gleichen Erzieherkräfte 27 Kinder betreuen“, erklärten Diakonie-Mitarbeiter Uwe Mühling und Uta Lewandowski. Denn üblich war seit jeher, dass Teil- und Ganztagsgruppen von zwei Kräften betreut werden. Schnieber-Jastram erhöht jetzt aber nicht nur die Größe, sie dünnt zugleich die Betreuung aus.
Laut Kita-Abteilungsleiter Anselm Sprandel kommt es zu einer Absenkung um 15 Prozent beim Personal, sechs Prozent bei den Sachkosten und zehn Prozent bei den Gebäudekosten. Die Diakonie spricht hingegen von einer Standardabsenkung um 17 Prozent, die beispielsweise bei einer Kita mit 120 Kindern und zehn MitarbeiterInnen zu zwei Entlassungen führe.
Schnieber-Jastram spart auch an einer neuen Prognose. So überraschte ihre Ansage, dass sie im Zuge des Kita-Kompromisses nur mit 1.500 zusätzlichen Kindern und 51.200 Kindern insgesamt rechne, weil in diesem Jahr die Nachfrage gering war. Bei den Verhandlungen war stets von 55.000 die Rede, für die der Senat laut Sprandel 335 Millionen Euro ausgeben müsste.
Doch auch diese 1.500 Kinder sowie die ab 1. Januar allen drei- bis sechsjährigen Kindern gewährte fünfte Stunde mit Mittagessen kosten laut Behörde 20 Millionen Euro. Die werden aus dem abgesenkten Etat finanziert, weshalb Sprandel von einer Gesamtkürzung von 44 Millionen Euro sprach.
Kommen mehr oder weniger Kinder, gibt es laut Staatsrat Klaus Meister auch mehr oder weniger Geld. Die Summe von 321 Millionen sei aber eine „Grenze“, die bei den noch laufenden Verhandlungen mit der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) „nicht überschritten werden darf“. Sollte es bei einer Einigung doch noch zu einer höheren Summe kommen, „müssen wir an die Beitragsseite ran“, sagte Meister. Sprich: Die Eltern müssten mehr zahlen.
Die AGFW war gestern entsetzt und überrascht von den neuen Summen. „Wir müssen die Informationen erst mal verarbeiten“, sagte ihr Sprecher Michael Edele. Die Kita-Verbände gehen auch bei der geringeren Zahl von nur 1.500 zusätzlichen Kindern davon aus, dass 350 Millionen Euro nötig wären, um eine vertretbare Qualität der Kinderbetreuung zu garantieren.
Gegen die gestern verkündete Rechtsverordnung will die AGFW in der kommenden Woche juristisch vorgehen. Die Träger sehen sich an der Nase herumgeführt. Sie hatten im Sommer eine Einsparung von knapp zehn Prozent geboten, um die erwarteten 5.000 zusätzlichen Kinder zu betreuen. Wäre diese Zahl Grundlage des Etats, hätte diese Einsparung in der Summe zu keinen Entlassungen geführt.