: Wahlen ohne Hamas
Israel macht erste Gesten in Richtung palästinensischer Autonomiebehörde und entschuldigt sich für „versehentlich“ erschossene Ägypter
AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL
Der neue PLO-Chef Mahmud Abbas will stärker gegen die bewaffneten Widerstandsgruppen vorgehen. Wie Abbas, genannt Abu Masen, gestern ankündigte, sollen „Schritte unternommen werden, um das Zurschaustellen von Waffen zu beenden“. Bei Gesprächen mit weltlichen Widerstandsgruppen im Gaza-Streifen stand hingegen eine konkrete Entwaffnung nicht zur Disposition.
Abu Masen, Kandidat der Fatah für das Präsidentschaftsamt, strebt nach wie vor eine diplomatische Einigung über einen Waffenstillstand bis zu den für den 9. Januar geplanten Wahlen an. Fünf weltliche Bewegungen kündigten unterdessen ihre Teilnahme mit einem gemeinsamen, noch zu benennenden Kandidaten an. An der Grenze nach Ägypten starben in den frühen Morgenstunden drei ägyptische Polizisten, die unter Beschuss der Israelis geraten waren. Präsident Husni Mubarak akzeptierte die telefonische Entschuldigung von Israels Premierminister Ariel Scharon. Ägypten wisse, dass es sich um ein Versehen handelte, hieß es.
Scharon hatte hinsichtlich des geplanten Abzugs aus dem Gaza-Streifen diese Woche erstmals eine Zusammenarbeit mit den Palästinensern in Aussicht gestellt. „Sobald erkennbar ist, dass die neue palästinensische Führung bereit dazu ist, gegen die Terrororganisationen vorzugehen, könnten wir mit Blick auf die für eine Räumung bestimmten Regionen kooperieren.“
Umstritten ist in Jerusalem nach wie vor die Frage weiterer Gesten zur Unterstützung der neuen Führung in Ramallah. Scharon lehnt vorläufig Gefangenenamnestien und Reiseerleichterungen ab. Zumindest mit Blick auf die Wahlen sprach sich der Ministerpräsident dafür aus, dass die Palästinenser in Ostjerusalem teilnehmen dürfen. Offiziell ohne aktuellen Zusammenhang kam Scheich Hassan Jussef, Chef des politischen Hamas-Flügels im Westjordanland, gestern nach Abbüßen seiner zweijährigen Haftstrafe auf freien Fuß. Jussef sprach sich, entgegen der bisherigen Haltung der Hamas, für eine Teilnahme der Islamisten bei den Präsidentschaftswahlen aus. Ein Waffenstillstand sei möglich, so erklärte er, allerdings „nicht ohne eine Lösung für die Gefangenen“.
Der Appell von Seiten arabischer Knessetabgeordneter, den zu fünfmal lebenslanger Haft verurteilten Marwan Barghuti zu entlassen, stieß beim israelischen Präsidenten Mosche Katzav auf taube Ohren.
Der Chef der Fatah-Tansim im Westjordanland galt bis zum Tod von Palästinenserpräsident Jassir Arafat als der populärste Kandidat für die Nachfolge. Gestern veröffentlichte Umfragen räumen hingegen Abu Masen die besseren Chancen ein. Während aus dem Außenministerium verlautete, dass „Barghuti ein Mörder ist und im Gefängnis bleibt“, hält Innenminister Abraham Poras (Schinui) eine Entlassung für möglich. Schließlich seien auch beim Gefangenenaustausch mit der Hisbollah „Terroristen mit Blut an den Händen auf freien Fuß gekommen“.
Gesten an die neue Führung in Ramallah sind mit großer Wahrscheinlichkeit auch Gegenstand der derzeitigen Koalitionsverhandlungen zwischen Scharon und der Arbeitspartei. Berichten des auflagenstarken Ma’ariv zufolge ist die „nationale Einheit so nah wie nie zuvor“. Das Büro von Oppositionschef Schimon Peres stritt hingegen ab, dass es eine Annäherung gegeben habe. Die Fehlinformation sei von Expremierminister Ehud Barak, der derzeit sein „Comeback“ vorbereitet, gezielt an die Presse gemeldet worden. Die einzige Alternative zu einer großen Koalition wäre, wie Scharon wiederholt ankündigte, Neuwahlen.
Ein Zusammengehen mit der Arbeitspartei würde zusätzlichen Druck in Richtung eines bilateralen Prozesses schaffen. Die Arbeitspartei hat zwar bislang Scharons Abzugsplan unterstützt, dabei jedoch nie verheimlicht, dass sie Verhandlungen mit den Palästinensern deutlich bevorzugen würde. Aus dem Außenministerium in Jerusalem verlautete mit Blick auf mögliche Gesten, dass derartige Maßnahmen nicht im „leeren Raum“ stehen. In Jerusalem wartet man neben US-Außenminister Colin Powell auf den britischen Außenminister Jack Straw, der ebenfalls in der kommenden Woche erwartet wird.