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Archiv-Artikel

Wahrzeichen ohne Gedenken

Kaum einer weiß, dass die Dortmunder Westfalenhallen während des Zweiten Weltkrieges als Kriegsgefangenenlager dienten. Eine Dokumentation thematisiert dies erstmalig umfassend

VON KARSTEN SCHÜLE

Sie gelten als eines der wichtigsten Wahrzeichen der Ruhr-Region: Die Dortmunder Westfalenhallen. Kaum bekannt ist, dass an eben jener Stelle zwischen 1939 und 1945 rund 77.000 Italiener, Franzosen, Belgier, Slowenen, Sowjets und Polen in dem Kriegsgefangenenlager „Stalag VI D“ interniert waren. Die Historikerin Regina Mentner hat dieses Thema in vierjähriger Kleinarbeit durchleuchtet. Jochen Müter und Benjamin Wassen, Journalistik-Studenten der Uni Dortmund, haben für die filmische Umsetzung gesorgt. Am Donnerstag Abend präsentierten sie ihre aus einjähriger Arbeit hervorgegangene Dokumentation „Westfalenhalle – Wahrzeichen ohne Gedenken“. Eine Diskussionsrunde im Anschluss sollte die Möglichkeiten eines würdigen Erinnerns erörtern.

Mittels historischer Aufnahmen dokumentiert der Film den Werdegang der traditionsreichen Hallen von ihrer Erbauung im Jahre 1925 bis zu ihrer Zerstörung im Bombenhagel anno 1945. Das Hauptaugenmerk der Autoren liegt dabei auf der Nutzung durch das nationalsozialistische Regime, anfangs als Propagandaarena, dann als Kriegsgefangenenlager, das später wegen Platzmangels durch die Errichtung zahlreicher Baracken auf umliegenden Grundstücken erweitert wurde. Drei Zeitzeugen kommen in dem 36-minütigen Werk zu Wort, darunter zwei ehemalige Lagerinsassen. Die beiden Italiener zählen zu den wenigen Überlebenden. Ein ebenfalls aus Italien stammender Pater hat Aufzeichnungen hinterlassen – erschütternde Schilderungen von Lagerhaft und Zwangsarbeit. Mehrfach kommt Regina Mentner zu Wort, um das Ergebnis ihrer mühevollen Recherchetätigkeiten darzulegen.

Lediglich eine Zeitzeugin stammt aus Dortmund. Die ältere Frau kann sich sehr genau an das Lager erinnern. Es sei schließlich offensichtlich gewesen, sagt sie. Ansonsten scheint sich keiner zu erinnern. „Außer ihr konnten wir hier in Dortmund niemanden finden“, bestätigt Autor Müter. Noch nicht einmal auf eine Anzeige hin, die in drei großen regionalen Tageszeitungen geschaltet war. Neben dem „Stalag VI D“ existierten in Nordrhein-Westfalen noch acht weitere Stammlager. Die historischen Quellen zum Dortmunder Lager allerdings fallen besonders dürftig aus, das fotografische Material ist auf zwei Aufnahmen begrenzt. Die 300 Seiten starke Chronik der Westfalenhalle beschäftigt sich auf fünf Seiten mit der Nazi-Vergangenheit, auf zweien wird das Gefangenenlager kurz erwähnt. Ludwig Jörder, Hauptgeschäftsführer der Westfalenhallen Dortmund beteuert, man habe das Thema nicht bewusst ausgeblendet, weist aber gleichzeitig darauf hin: „Es ist eine Chronik der Westfalenhalle, nicht der Zeitgeschichte.“ Manager Jörder hat die Dokumentation kurz zuvor erstmalig gesehen. Von dem Ausmaß des Sachverhaltes scheint auch er überrascht, er ist sichtlich aufgewühlt. Leider lässt er völlig offen, ob und wie er mit dieser Sache nun verfahren will. Weshalb in dem Film niemand von der Westfalenhalle zu Wort kommt, kann Autor Müter erklären: „Wir sind nie weiter als bis zur Pressestelle gekommen. Die haben das wohl nicht so ernst genommen.“ Einen Andachtsraum könne er sich vorstellen, aber auf jeden Fall müsse dem Thema in der Hallen-Chronik mehr Platz eingeräumt werden.

Die Frage, wie es zu dem Vergessen kommen konnte, beantwortet der Film nicht. Die Autoren beschränken sich darauf, zu dokumentieren, was damals passiert ist. Dazu Müter: „Wir haben bewusst darauf verzichtet, Schuldzuweisungen auszusprechen. Viel wichtiger ist doch jetzt, für ein würdiges Gedenken zu sorgen.“