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Archiv-Artikel

Nicht nur Vögel

Der Künstler Martin Mlecko realisiert sein Projekt „Über die Liebe“ in einer unscheinbaren Kneipe im Wedding

Das „Euler-Eck“ in Wedding ist ein Familienlokal, und wie viele Gaststätten mit schweren Gardinen gibt es seine Schätze nur zögerlich preis. Gelblich funzelt eine Reklameschild für „Engelhardt Pilsener“ im Fenster. Die Kneipe ist bis auf zwei Männer, die im Schummerlicht an der Theke sitzen, leer. Mehr als genug Platz also, sich einen freien Tisch zu suchen, sich kurz an den gemusterten Tischdecken und den Plastikblumen zu erfreuen und dann den Blick über das schweifen zu lassen, weswegen man gekommen ist: die Kunst.

Im Schankraum hängt ein Fernseher, der normalerweise für Sportübertragungen dient. Jetzt ist dort ein Videofilm von Martin Mlecko zu sehen, eine Langzeitaufnahme von zwei Unzertrennlichen, die glücklich und fast regungslos in einem Käfig hocken. Die beiden Vögel bieten einen gekonnten Einstieg in Mleckos Projekt mit dem Titel „Über die Liebe“, das an der gegenüberliegenden Wand fortgesetzt wird: Dort hängen zwei weitere Fernseher, die ein Liebespärchen zeigen. Links eine junge Frau, die entfernt an die neurotische Kolumnistin aus Sex and the City erinnert, rechts ein junger Mann, Typ Lausbub mit Strubbelkopf. Die beiden flirten, lachen, reden – und schon beim Zusehen beschleichen einen romantische Stimmungen. Leider ist das Pärchen aus dem Video mittlerweile getrennt, wie man vom Wirt des „Euler-Ecks“, Hubert Thom, erfahren kann. Hach, eine Illusion zerstört!

Thom erklärt im weiteren Gespräch, dass ihm das Projekt von Mlecko gut gefalle: „Die Filme zeigen alle möglichen Formen von Beziehungskisten. Das passt doch zu einer Kneipe, wo sich Menschen kennen lernen.“ Auch Martin Mlecko findet das „Euler-Eck“ eine gute Wahl. „Bei einer Kneipe in Mitte hätte man sofort gesagt: Der Künstler macht was Schräges.“ Doch hier in Wedding entwickele sich eine andere Atmosphäre. „Mir ist es vor allem ernst mit den Menschen. Ich will nicht, dass das Stammpublikum zur Karikatur wird“, sagt Mlecko.

Da muss er sich allerdings keine Sorgen machen. Schließlich ist der Kunstinteressierte genauso wie Mleckos Videos nur temporärer Gast in einem Mikrokosmos, der auch prima ohne ihn funktioniert. Das Kuriosum ist man in diesem Kontext selbst. Das beweist auch eine Dia-Installation im Hinterzimmer: Aufnahmen einer Familie über drei Generationen, Bilder von Tanzveranstaltungen und Urlaubsreisen nach Italien. Aus dem Schankraum dringt plötzlich das Lied von den Caprifischern und jagt einem merkwürdige ambivalente Nostalgieschauer über den Rücken. Irgendwann weiß man nicht mehr, ob Mlecko im „Euler-Eck“ wirklich nur zu Gast ist oder ob er im Gegenteil die Kneipe zu einem einzigen charmanten Gesamtkunstwerk umdeutet. TIM ACKERMANN

Bis 17. Dezember, „Euler-Eck“, Eulerstraße 18, täglich 10 Uhr bis zum letzten Gast