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Archiv-Artikel

Die USA geben im Handelsstreit nach

Washington will Importzölle auf Stahl aus der EU aufheben. Zuvor hatte die Welthandelsorganisation Brüssel Recht gegeben – und damit Sanktionen gegen die USA erlaubt. Risiken eines Handelskriegs wiegen schwerer als innenpolitische Vorteile

AUS WASHINGTON M. STRECK

Die US-Regierung ist offenbar bereit, ihre Zölle auf Importstahl aufzuheben. Sie beugt sich damit im Streit mit der Europäischen Union einem Urteil der Welthandelsorganisation (WTO), um einen Handelskrieg mit den Europäern zu vermeiden. US-Präsident George W. Bush hatte im März 2002 Sonderzölle gegen Stahlimporte aus Europa, Asien und Südamerika für eine Zeitdauer von drei Jahren verhängt, um die heimische Industrie vor billiger ausländischer Konkurrenz zu schützen.

Die Washington Post berichtet unter Berufung auf Regierungs- und Industrievertreter, Bush werde wahrscheinlich noch in dieser Woche die Entscheidung bekannt geben. Die WTO hatte jüngst die US-Sonderabgaben zweimal für illegal erklärt und der EU damit grünes Licht für Gegenstrafzölle auf amerikanische Importwaren im Wert von über zwei Milliarden Dollar gegeben. Die Handelssanktionen der Europäer hätten ab 15. Dezember wirksam werden können. Sie beträfen unter anderem Strafzölle auf Zitrusfrüchte aus Florida, landwirtschaftliche Maschinen, Textilien und Schuhe.

Die Risiken eines Handelskrieges mit der EU wiegen für Bushs Wirtschaftsberater schwerer als die innenpolitischen Vorteile. Angeblich hätten die Strategen im Weißen Haus bis zuletzt nach einem Ausweg gesucht, der einen Gesichtsverlust des Präsidenten zu Hause vermeide und kurz vor einer Aufhebung der Zölle rangiere, aber dennoch den Forderungen der EU entgegenkomme. Das sei zwar „technisch möglich, aber praktisch unmöglich“, verlautete aus der Washington Post. Eine Abschaffung der Zölle dürfte Bush im Kampf um seine Wiederwahl im November 2004 Punkte kosten. Die US-Stahlindustrie ist vor allem in den zwischen Republikanern und Demokraten umkämpften Bundesstaaten Michigan, Ohio, Pennsylvania und West-Virginia ansässig. Diese Regionen sind seit Bushs Amtsantritt besonders hart von Arbeitslosigkeit betroffen. Und die sich seit Oktober abzeichnende Trendwende auf dem US-Arbeitsmarkt ist am altindustriellen „Rost-Gürtel“ bislang vorbeigegangen.

Ein erster Stimmungstest wird daher diese Woche Bushs Wahlkampf-Reise in die Autostadt Detroit und nach Pittsburgh sein, wo er U.S. Steel Corp., den größten US-Stahlproduzenten, besuchen wird. Das Unternehmen leitet den Widerstand gegen die Aufhebung der Schutzzölle.

Die Vermeidung eines Handelskrieges bringt dem Weißen Haus jedoch auch Entlastung an der Heimatfront. Den Demokraten wird weiter Wind aus den Segeln genommen. Nachdem das Wachstum im letzten Quartal auf acht Prozent hochschnellte – ein Wert, von denen die EU nur träumen kann – und die Arbeitslosigkeit im Rest der USA den dritten Monat in Folge zurückging, können sie Bush nun immer schwerer ein Versagen in der Wirtschaftspolitik vorwerfen. Überdies glaubt der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick, die Zölle hätten ihre Schuldigkeit getan: der Stahlindustrie „eine Atempause“ im notwendigen Restrukturierungsprozess zu geben.