: Glüsinger lacht nicht mehr
Mittelrang, Reihe 1, Sitz 11 verstummt: Deutschlands letzter großer Theaterlacher ist tot
„Seine Lache ist ansteckender als die Cholera“, schrieb 1953 der Kritiker Robert C. Lobesam über den „begnadeten Theaterlacher“ Theo Glüsinger. „Wann immer Glüsinger im Bielefelder Operettenhaus sein glockendes Gelächter anstimmt, breitet sich der Lachvirus im gesamten Haus aus wie nichts Gutes. Kaum dass ihm ein röchelndes Kollern entfährt, sind die Leute infiziert. Und bricht sich erst eine, aus dem tiefsten Bass seines stattlichen Wanstes geborene und schnell drei Tonleitern aufwärts scheppernde Lachsalve Bahn im Saal, muss man einfach mitkeckern. Was für ein Teufelslacher. Was ein formidabler Lachsack.“
Lobesams begeisterte Eloge brachte Theo Glüsinger den entscheidenden Durchbruch zu einem der bekanntesten Theaterlacher der deutschen Nachkriegsgeschichte. 1928 im lippischen Detmold als Sohn eines Bestattungsunternehmers geboren, ging der schon als Kind zur Fettleibigkeit neigende Ostwestfale nach überstandenem Volkssturmeinsatz 1946 bei seinem Vater in die Lehre. Die tägliche Fron des Leichengewerbes suchte der junge Theo durch gelegentliche Besuche des Varietétheaters „Chez Eva“ auszugleichen, das die britischen Besatzungstruppen in Detmold unterhielten.
Hier bereits sorgte Glüsinger mit seinen fulminanten Lachanfällen für Aufsehen und wurde vom Fleck weg als bezahlter Lachanimateur engagiert. Nach fünf Jahren nebenberuflicher Tätigkeit in Lachdiensten der Royal Army wechselte Glüsinger 1951 ins frisch eröffnete Operettenhaus nach Bielefeld. Ab da war Glüsingers Beruf der eines fest angestellten „Lachdienstlers“, wie er sich selbst nannte.
In seinen Erinnerungen berichtet der damalige Impressario der Bielefelder Operette, Hazy „Ullrich“ Weller, über „die unglaubliche Lachsal, die diese fette Lachmaschine mit ihren Kicher- und Lachkanonaden“ nicht nur beim Publikum erweckte. Zuweilen steckte Glüsinger auch die Schauspieler und Sänger an: Unvergessen jener Eklat 1972 bei der Premiere von Quentin Quarks Witwengroteske „Die Widerborstigen“ in der badischen Komödie.
Nach dem Freud’schen Versprecher des Schauspielers Götz Gurkensieben („Oh, du meine heiße Möse“, statt „weiße Möwe“) ward Glüsinger von einem solchen Lachkrampf heimgesucht, dass die Vorstellung im ersten Akt abgebrochen werden musste. Sowohl große Teile des Publikums als auch etliche Ensemble-Mitglieder wurden von Glüsingers Heiterkeitseruptionen ins immer wieder neu aufflackernde Lachen gebracht, so dass eine ordentliche Aufführung nicht mehr möglich war.
Mittlerweile auf dem Höhepunkt seines Ruhms angelangt, konnte den Lachdienstler aber selbst ein peinlicher Betriebsunfall wie dieser nichts anhaben. Im Gegenteil. Sämtliche großen deutschen Komödientheater rissen sich um den unterdessen gegen drei Zentner schweren Profilacher. Das Hamburger Ohnesorg-Theater, die Alberne Komödie in Berlin oder die Kölner Comedia nahmen seine Lachdienste ebenso in Anspruch wie die Bremer Scherzfabrik, die Darmstädter Schießbude oder der Bayrisch-Königliche Komödienstadl.
Daneben erhielt Glüsinger Engagements in Zürich, Wien, Teheran oder London – und sogar eine Einladung an den Broadway, wo er 1979 Woody Allens „So what, Pussy?“ vor der vorzeitigen Absetzung bewahrte. Glüsinger machte das allenfalls mittelprächtige (und darum heute auch zu Recht in Vergessenheit geratene) Slap-Stück durch seine gezielt eingesetzten Lacher lustiger als es jemals war.
Wieder zurück in Deutschland ging er als Cheflacher ans Harburger Lustspielhaus, wo er bis zu seiner Pensionierung 1993 allabendlich von seinem festen Arbeitsplatz aus (Mittelrang, Reihe 1, Sitz 11) das Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen bewegte. Angebote, auch das Fernsehen zu belachen, schlug Theo Glüsinger stets aus. Er wollte mit dem „Drecksmedium“ nichts zu tun haben.
Nicht mal ein sechsstelliges Honorar, das der TV-Produzent Yedi Tolmein 1986 zu zahlen bereit war, um mit Glüsinger eine Lachschleife für die Mike-Leckebusch-Show zu produzieren, konnte ihn erweichen. Selbst Radiolacheinsätze waren ihm suspekt. Lediglich ein, wenn auch meisterliches Gelächter ließ er sich für Rainer-Werner Faßbinders kurzes Funkstück „Lachen bis der Arzt kommt“ entlocken, das dann auch prompt den renommierten Hörspielpreis der Kriegszwerchfellerschütterten einheimste.
Nach seiner Verrentung animierte Glüsinger nur noch selten ein größeres Publikum. Eine chronische Lachmuskelverhärtung machte ihm zu schaffen. Außer ein paar fürstlich bezahlten Kreuzfahrteinsätzen nahm er keinerlei Gelächter-Engagements mehr an.
Letzte Woche starb Theo Glüsinger in seinem Altersruhesitz Bad Salzuflen. Er, der sich immer gewünscht hatte, „wenn ich überhaupt mal abkratze, dann bitte nur durch Totlachen“, erlag nach kurzer Leidenszeit an Zwerchfellkrebs. Als sein Sarg am letzten Dienstag ins Detmolder Familiengrab gelassen wurde, erklang noch einmal Theo Glüsingers große Lache: scheppernd und kratzend aus einem kleinen, einst von ihm belachten Lachsack. FRITZ TIETZ