: „Kämpfer gehen dorthin, wo sie Geld kriegen“
Liberias Interimspräsident Gyude Bryant über die Zusammenhänge zwischen dem Frieden in seinem Land und dem neuen Krieg in der benachbarten Elfenbeinküste: „Unsere Grenzen sind durchlässig, und Leute gehen über die Grenze“
taz: Die jüngste Krise in der Elfenbeinküste treibt zahlreiche Flüchtlinge nach Liberia. Könnte der ivorische Konflikt auf Liberia überschwappen?
Gyude Bryant: Ich hoffe nicht. Der Konflikt ist ein wenig abgeflaut, und ich hoffe, dass alle Seiten Vernunft annehmen, damit Liberia nicht das Opferlamm wird.
Liberia hat letztes Jahr erfolgreich einen Bürgerkrieg beendet und befindet sich in einem Übergangsprozess hin zu freien Wahlen. Ist das ein Modell für die Elfenbeinküste?
Wir haben das den ivorischen Konfliktparteien bei ihren Friedensverhandlungen in Ghanas Hauptstadt Accra im Juli gesagt. Man kann den ivorischen Konflikt nicht innerhalb der ivorischen Gesetze lösen, weil diese Gesetze die gegenwärtige Situation nicht vorhersahen. Die Politiker müssen beschließen, dass etwas im nationalen Interesse sein kann, auch wenn es nicht in der Verfassung steht.
Was meinen Sie genau?
In Accra wurde vereinbart, die Bestimmungen der ivorischen Verfassung über die Abstammung eines Präsidentschaftskandidaten zu ändern. Wenn das umgesetzt wird, kann es Frieden geben. Wir hatten ähnliche Probleme in Liberia. Das Oberste Gericht hat das geklärt. Also halte ich so was nicht für problematisch. Manchmal muss man für den Frieden außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen.
Es gibt Berichte über demobilisierte liberianische Kämpfer, die sich in der Elfenbeinküste neu anheuern lassen. Wieso verhindern Sie das nicht?
Leute gehen dorthin, wo sie Geld verdienen können. Unsere Grenzen sind durchlässig. Nach in der Demobilisierung dauert es lange, einen Beruf zu lernen oder als Bauer eine Ernte einzufahren. Also gehen die Leute über die Grenze und verdienen mit dem Gewehr schnelles Geld. Wir versuchen, den Leuten klarzumachen, dass das unklug ist. Sie riskieren ihr Leben, und falls sie heil wieder zurückkommen, können wir sie wegen Förderung von Gewalt anklagen.
Liberianer, die in der Elfenbeinküste kämpfen, können also vor Gericht kommen?
Ja, sie können angeklagt werden.
Aber wirft es nicht ein schlechtes Licht auf Liberia, wenn Leute lieber im Nachbarland Krieg führen als zu Hause Frieden aufbauen?
Sicher, aber was soll man machen? Es ist erst ein Jahr her, dass unser eigener Krieg zu Ende ging. Leute, die 10 oder 13 Jahre lang gekämpft haben, verändern sich nicht so schnell. Besonders weil wir einfach nicht alle Wünsche sofort erfüllen können.
Hat die Demobilisierung in Liberia zu früh geendet? Es gab darüber Streit zwischen Ihrer Regierung und der UN-Mission.
Nein, es hat genau gepasst. Wir haben 92 bis 94 Prozent des Landes demobilisiert. Nur Lofa im Norden an der Grenze zu Guinea und Teile der Grenzregion zur Elfenbeinküste sind noch übrig.
Tut die internationale Gemeinschaft genug für Liberia?
„Genug“ ist relativ. Wenn man Strom will, braucht es Zeit, die Planung zu machen, Geld zu finden und die Leitungen zu legen, bevor die Glühbirne angeht. Liberia ist nicht das einzige Problem auf der Welt. Die internationale Gemeinschaft hilft uns, und wir sind dankbar.
Was sollte die internationale Gemeinschaft heute in Liberia am dringendsten tun?
Uns bei der Umsetzung des Friedensabkommens helfen. Ressourcen finden, um nach der Demobilisierung auch die Reintegration ehemaliger Bürgerkriegskämpfer zu finanzieren. Die frühere Regierungsarmee AFL entwaffnen, damit es eine neue Armee geben kann. Die Wahlkommission finanzieren, damit es freie Wahlen geben kann. Uns im sozialen Bereich helfen – Schulen, Kliniken, bessere Straßen. Bei uns investieren, um unser großes Potenzial im Bergbau, Öl, Landwirtschaft und Fischerei auszubeuten.
Wird es in einem Jahr Wahlen in Liberia geben?
Absolut. So Gott will.
INTERVIEW: DOMINIC JOHNSON