: Muskelkater der Seele
JUNGE HOFFNUNGEN Der Drehbuchstudent Alex und die junge Reisende Lisa: Ihre ersten Romane brachten Thomas Klupp und Svealena Kutschke gleich große Aufmerksamkeit. Beide lesen heute im Literarischen Kolloquium
THOMAS KLUPP
VON LAVINIA MEIER-EWERT
Das erste Buch ist ein einschneidendes Ereignis. Mit ihm gewinnt der Selbstentwurf als Autor eine Sichtbarkeit, wie er sie lange nur für den Schreibenden selbst hatte. Wie „Muskelkater in der Seele“ habe sich der zunächst angefühlt, erzählt Svealena Kutschke, die mit dem Roman „Etwas Kleines gut versiegeln“ in diesem Frühjahr ihr Debüt bei Wallstein vorgelegt hat. Gleichzeitig setzen die mit dem Auftauchen des Debütanten in der Öffentlichkeit beginnenden medialen Mechanismen – von der Positionierung des Titels in der Verlagsvorschau über die Anmutung des Autorenfotos bis zu den ersten Presseinterviews – einen Prozess in Gang, der mit der Einsamkeit des Schreibens so gar nichts mehr zu tun hat.
Mit dem Erscheinen ihres Buches, erzählt Svealena Kutschke, sei eine „bodenlosen Unsicherheit“ allmählich von ihr abgefallen. In einer überbordend bildreichen Sprache, deren Assoziationen zwischen unverbrauchter Sinnlichkeit und großem Pathos hin- und herschießen, folgt der Roman der Ich-Erzählerin Lisa von Deutschland nach Australien und bewegt sich dabei weniger auf einer Handlungs-, denn auf einer Gefühlsebene. Lisa, die vor der Trauer über den Verlust ihres Freundes in die Fremde flieht, nimmt die Welt um sich herum beinahe übersensibel wahr: „Der raue Asphalt. Der kühle Wind. Mein trockener Mund. Es war eine schmerzhafte Intensität in allen Dingen, ein Anfall von Kristall in der Straßenführung, jedes Auto rührte mich zu Tränen, die Risse im Asphalt stachen mir in die Augen, der Himmel blühte rosa.“
Mit Distanz über den Roman zu reden, musste die Autorin erst lernen. Geholfen, sich im Spannungsfeld zwischen Presse, Podium und Publikum zu behaupten, hat ihr vor allem die Lesereise nach dem Open Mike, bei dem die 1977 geborene Autorin im vergangenen November den zweiten Preis gewonnen hat. „Noch unter Welpenschutz“ konnte sie da Lesungs- und Interviewsituationen proben. Die Teilnahme an dem Wettbewerb war eine strategische Entscheidung, ebenso wie die Praktika in Verlagen und Literaturagenturen. Irgendwann nach Abschluss des Studiums ist ihr bewusst geworden ist, „dass mir kein Beruf eine solche Zufriedenheit verschafft wie das Schreiben“.
Wie Kutschke hat auch der gleichaltrige Thomas Klupp, dessen Debütroman „Paradiso“ ebenfalls im Frühjahr herausgekommen ist, eine nachwuchsfördernde Institution im Literaturbetrieb durchlaufen. Er ist Absolvent der Hildesheimer Schreibschule, lehrt dort mittlerweile selbst, und seinem reflektierten Sprechen über den eigenen Text und dessen Entstehungsbedingungen merkt man das an. Für die Veröffentlichung konnte der Mitbegründer der Zeitschrift bella triste auf ein dicht geknüpftes eigenes Netzwerk zurückgreifen, seine Lektorin kannte er vorher bereits persönlich. Und spätestens seit Hanns-Josef Ortheil, Professor in Hildesheim, kurz nach Erscheinen des Romans in der Zeit die Legende vom „angeblichen Geheimtipp des Frühjahrs“ in die Welt setzte, begannen die Mechanismen zu greifen und „Paradiso“ war der Sprung in die Feuilletons sicher.
„Paradiso“ ist der so unaufhörliche wie ziemlich komische Redestrom des Drehbuchstudenten Alex Böhm, der per Anhalter von Potsdam nach München reist und in seinem treuherzigen Zwang, alles auszusprechen, was ihm durch den Kopf schießt, an niemandem ein gutes Haar lässt, auch nicht an der Heimatuni seines Autors: „Leni studiert Kulturwissenschaften in Hildesheim, Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis, um genau zu sein, und das heißt so aberwitzig, weil es der kompromissloseste Hippiestudiengang ist, den es auf der Welt gibt. Man kann dort wirklich alles anstellen, was man will – Kresseskulpturen züchten, sich bei der Achselenthaarung filmen oder im Chor die E-Mails der Exfreundinnen von der Bühne brüllen –, solange man hinterher auch nur drei halbwegs gerade Sätze darüber schreibt, regnet es Punkte wie Frösche in Magnolia.“
Klupp hat eine starke Erzählstimme geschaffen. Ihr Identifikationspotenzial merkt man den begeisterten Texten hauptsächlich männlicher Rezensenten an, deren beinahe pflichtschuldig absolvierte Distanznahme zum Protagonisten erstaunlich einheitlich in Form einer Beschimpfung seiner Person als „Drecksack“, „Mistkerl“ oder „Arschloch“ erfolgt.
Dass es auch riskant sein kann, sich gerade im Debüt, wo nicht nur ein Text, sondern die ganze Autorenperson in die Waagschale geworfen wird, so sehr einem dem Autor ähnlichen Protagonisten anheim zu geben, dessen waren sich Klupp wie Kutschke bewusst – es war ihnen aber letztlich egal.
Natürlich sei seine Figur nicht Lichtjahre von ihm selbst entfernt, meint Klupp, aber das Entstandene sei rein fiktional. Den „Weißabgleich mit der Wirklichkeit“ findet Svealena Kutschke, die sich von solchen Fragen „in eine Verteidigungshaltung gedrängt“ fühlt, „nicht besonders interessant“. Auf den Clemens-Meyer-Effekt, diese medial befeuerte Karachoinszenierung der eigenen Person, verzichten sie beide.
Wie von Verlagsseite trotzdem versucht wird, einen Kult zu beschwören, davon zeugt dieser merkwürdige Trend zur Website zum Buch, auf der man sich mitten in den Paratext des Romans hineinklicken kann, in Klupps Fall von einem „Making of Paradiso“ mit handschriftlichen Manuskriptseiten zu „Alex Böhms Videothek“.
Thomas Klupp und Svealena Kutschke lesen heute, 20 Uhr, im Literarischen Kolloquium. Thomas Klupp: „Paradiso“. Berlin Verlag. 208 Seiten, 18 €. Svealena Kutschke: „Etwas Kleines gut versiegeln“. Wallstein, Göttingen 2009. 296 Seiten, 19,90 €