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Archiv-Artikel

Der Zahnschmerzparteitag

Stoiber droht mit Rücktritt, damit die CSU dem Gesundheitskompromiss zustimmt. Seehofer fehlte – und war doch überall

AUS MÜNCHEN LUKAS WALLRAFF

Edmund Stoiber hat sich oft über Gerhard Schröder lustig gemacht. Ein Kanzler, der ständig mit dem Rücktritt drohen müsse, zeige nur, wie schwach er sei. Jetzt, an diesem Freitagabend, auf dem CSU-Parteitag, bleibt auch ihm nichts anderes übrig. Stoiber muss seine Leute fast beknien, damit sie dem Gesundheitskompromiss zustimmen, den er mit Angela Merkel ausgehandelt hat.

Die CDU-Chefin kommt gleich in die Halle. Da will er ein gutes Ergebnis. Doch die CSU will erst noch diskutieren. Ausführlich. Kontrovers. Viele schimpfen. Manche kündigen ein Nein an. Stoiber sagt, das ihm das alles auch keinen Spaß macht. Stoiber sagt, das Konzept sei sozialer, als viele sagen. Als Horst Seehofer sagt. Stoiber erklärt noch mal, dass die Arbeitgeber auch belastet werden. „Wer das ablehnt“, ruft Stoiber in die Halle, „riskiert einen massiven Bruch mit der CDU. Das werde ich nicht vertreten.“ Muss er auch nicht. Stoiber bekommt seine Mehrheit, wenn auch mit 85 Gegenstimmen. Merkel kann kommen.

Auch sie betont die Geschlossenheit der Union. Aber noch nie hat Stoiber so sehr darum kämpfen müssen, dass die Partei ihm folgt. Er könne sich nur an einen Parteitag erinnern, bei dem es wilder zugegangen sei, sagt Oscar Schneider, früher CSU-Bundesbauminister. „Das war 1963. Damals wollten sie Franz Josef Strauß stürzen.“ So weit sei es diesmal nicht. „Der Vorsitzende ist unangefochten. Wir machen uns nicht selbst kaputt.“

Doch viele folgen Stoiber äußerst ungern. Sie sind sauer über den Kompromiss, über den langen Streit, über die Degradierung von Horst Seehofer, der nicht mehr Gesundheitssprecher sein soll. „Würden wir ehrlich abstimmen, wären die meisten gegen dieses Konzept“, sagt eine Delegierte aus Mittelfranken. „Unsozial“ sei das, dass jeder das Gleiche für die Gesundheit zahlen müsse, sagt die Mittelfränkin. Schneider drückt sich zurückhaltender aus, aber er benennt das Problem für Stoiber. „Was Seehofer sagt, ist schlüssig und er kann sich auf die CSU-Tradition berufen.“ Stoiber hat dagegen nur ein Argument, die Geschlossenheit der Union: „Mit zwei verschiedenen Konzepten anzutreten ist nicht möglich.“

Aber nun ein Konzept, das viele in den eigenen Reihen schlecht finden – oder aber nicht verstanden haben. Stoiber schiebt das auf die Presse und Rot-Grün: „Die sind gar nicht bereit zu lesen, was wir beschlossen haben.“

Das Motto des Parteitags, „Klare Werte, klarer Kurs“, wirkt wie ein Witz. Es hilft auch nichts, dass CSU-Chef Edmund Stoiber zur Begrüßung sagt: „Es geht hier eindeutig um die Sache, nicht um Personen.“ Die ganze Woche vor dem Parteitag war es nur noch darum gegangen, ob Seehofer hinschmeißt oder nicht. Mit Müh und Not hat Stoiber am Abend vor dem Parteitag eine Lösung für Seehofer gefunden. Doch die ist genauso schwer vermittelbar wie der Kompromiss mit Merkel. Seehofer darf als Vize von Partei und Fraktion im Amt bleiben, aber nicht mehr über Gesundheit reden. Wie das funktionieren soll, ist unklar.

Klar ist nur, dass es schon in der nächsten Fraktionssitzung von CDU/CSU am Montag in Berlin den nächsten Krach geben wird. Denn bei der CDU ist der Unmut über den ewigen Stänkerer Seehofer groß. Stoiber ist erst mal wichtig, dass er wenigstens auf dem Parteitag nichts sagt. Seehofer hat wissen lassen, er müsse zum Zahnarzt und könne nicht kommen. Das glaubt kein Mensch. „Der hat einen Maulkorb bekommen“, sagt Robert Gießübel, CSU-Mitglied aus Unterfranken. „Aber ich geh mal davon aus, dass er weiter seine Meinung sagt.“ Auch als Stoiber seine Begrüßungsrede hält, warten einige darauf, dass Seehofer doch noch auftaucht. Das Gerücht macht die Runde, einer habe seinen Fahrer gesehen. Dann redet Stoiber über das Schulgebet in Bayern.