piwik no script img

Archiv-Artikel

Ein Funke genügte

Dass am Jahrestag der Nato-Luftangriffe auf Serbien die Gewalt eskalieren würde, war abzusehen, so ein mutmaßlicher BND-Informant aus dem Kosovo

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Der Bundesnachrichtendienst (BND) und andere westliche Geheimdienste wussten über Vorbereitungen zu den Unruhen im Kosovo im März dieses Jahres im Voraus Bescheid. So jedenfalls berichtete das ZDF am Donnerstag und zitierte einen Zeugen aus der ehemaligen Kosovobefreiungsfront UÇK. Drei Wochen vor dem Gewaltausbruch mit zwölf toten Albanern, neun toten Serben und rund tausend Verletzten habe der BND mitgehört, wie ein Islamist die Aktion vorbereitete, berichtete das ZDF-„heute-journal“ am Donnerstag.

Der Zeuge heißt Samedin Xhesairi, ist österreichischer Staatsbürger und soll nach dem ZDF-Bericht bezahlter Informant des BND gewesen sein. In einem Telefonat habe er seinen Gesprächspartner angewiesen, in zwei bis drei Wochen im Raum Urosevac im südlichen Kosovo für „Bombenstimmung“ zu sorgen. Wenige Tage später habe er mitgeteilt, in Prizren „sei bereits alles für eine heiße Party vorbereitet“. Sein Gesprächspartner habe beklagt, er habe nur Schwierigkeiten, genügend Busse für den Transport von militanten Kosovo-Albanern zu organisieren.

Mit dem ZDF-Bericht wird dem BND unterstellt, die politische und militärische Führung im Kosovo nicht früh genug informiert zu haben und damit Verantwortung für die Eskalation der Situation zu tragen. In der Region Prizren sind Truppen aus Deutschland, Österreich, der Türkei und der Schweiz stationiert, die zu dem Zeitpunkt der Ereignisse unter italienischem Befehl standen.

Dass er Informant des BND gewesen sei, wollte Xhesairi gegenüber der taz weder bestätigen noch dementieren. Er habe aber schon vor den Ereignissen darauf hingewiesen, „dass die Lage im Kosovo sich radikalisieren könne, ein Funke genüge, um die Lage zur Explosion zu bringen“, sagte er gestern in einem Telefonat. Weiterhin seien manche der Zitate offenbar aus Abhörprotokollen seiner Telefongespräche entnommen, erklärte er weiter.

Hoxha, wie Xhesairi auch genannt wird, will aber an den Vorbereitungen der Demonstrationen der Albaner im Kosovo nicht direkt beteiligt gewesen sein; beteiligt war der Veteranenverband der Kämpfer der UÇK.

Schon Tage vor den Ereignissen hatte der Verband Demonstrationen gegen die UN-Mission im Kosovo veranstaltet. In Prizren protestierten mehrere hundert Menschen gegen die Verhaftung des UÇK-Kämpfers Selim Krasniqi durch die internationale Polizei. Die Demonstrationen sollten bis zum 5. Jahrestag des Nato-Angriffs auf Serbien am 23. März andauern. Gleichzeitig blockierten Serben die Grenzen zum Kosovo und die Straße von der Hauptstadt Prishtina nach Mazedonien. Sie errichteten Barrikaden nahe Prishtina bei dem Dorf Caglavica.

Als am 16. März die Nachricht vom Tod dreier albanischer Kinder kam, die von Serben in den Ibar-Fluss gehetzt worden sein sollen, brachen alle Dämme. Tausende Albaner demonstrierten in der nördlich gelegenen Stadt Mitrovica. Als dann noch von serbischer Seite in die Demonstration geschossen wurde und mehrere Albaner getötet sowie hunderte verletzt wurden, geriet die Lage vollends außer Kontrolle. Am 18. März demonstrierten zehntausende Albaner in allen größeren Städten des Kosovo, bei der Barrikade in Calgavica kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Albanern und Serben.

Der Veteranenverband versuchte dann, den Demonstrationen seinen Stempel aufzudrücken, was auch gelang. Überall griffen jugendliche Albaner UN-Gebäude und Fahrzeuge an, auch die noch in gemischten Gebieten lebenden Serben, Häuser brannten, der Bischofssitz von Prizren und das orthodoxe Kloster gingen in Flammen auf. Die deutschen Soldaten, die zum Schutz des Bischofssitzes aufgeboten waren, wurden von feindseligen Demonstranten umringt. Sie besaßen weder Schutzschilde noch Gummigeschosse.

Um 22 Uhr fiel im Operationszentrum die Entscheidung, die Soldaten hin zum ebenfalls bedrängten UN-Hauptquartier zu senden. Die Kommandeure begründeten diese Entscheidung später damit, dass sie im Falle des Verbleibens am Ort in die Menge hätten schießen müssen. „Entweder wir schießen, und Tote bleiben liegen, oder wir ziehen uns zurück“, erklärte damals einer der beteiligten Soldaten gegenüber der taz.

Franz Joseph Hutsch, der an der Erstellung des ZDF-Berichts beteiligt war, bestreitet diese Zusammenhänge nicht. „Es gab eine organisierte Bewegung, die dann die spontane Bewegung lenkte.“ Ist dies aber so, konnte kein Nachrichtendienst die Ereignisse in ihrer vollen Tragweite voraussehen. Wissen konnte man aber bei den Militärs, in den Hauptstädten und in der UN-Mission, dass der 5. Jahrestag zu Demonstrationen herausforderte. Und wissen konnte man, wer die Organisatoren waren.

Mit dem ZDF-Bericht wird sogar bestätigt, dass man dies sehr genau wusste. Auch Samedin Xhesairi bestreitet das nicht. Den Vorwurf jedoch, Kontakte zu al-Qaida zu haben, weist er von sich. Xhesairi wurde nach Geheimdienstquellen schon vor den Unruhen, am 4. März 2004, vom BND entlassen.