Eine fehlerfreie Rede

Angela Merkel redet um Hohmann nicht herum. Als sie noch ins Standardrepertoire konservativer Rhetorik greift, bekommt sie auch ehrlichen Applaus

Merkel signalisiert: Hohmanns Rauswurf bedeutet nicht, dass die Union nach links rutscht

AUS LEIPZIG LUKAS WALLRAFF

Die CDU hätte es sich leicht machen können, sagt Angela Merkel immer wieder. Auf dem Parteitag in Leipzig hätte man einfach über die Fehler der Regierung lästern können, ruft die Oppositionsführerin den Delegierten zu. „Wir könnten die Zeit ganz locker damit verbringen, die dramatische Lage in unserem Land zu beklagen.“ Schließlich, und das muss dann doch schnell noch erwähnt werden, damit es keiner vergisst: „Rot-Grün macht Fehler am Fließband.“ Genau das aber will die Parteivorsitzende nicht machen: Fehler. Deshalb spricht sie in fast eineinhalb Stunden wenig über Rot-Grün. Und viel über die Union. Über die Konzepte der Union zum Umbau des Sozialstaats. Über die Erfolge bei den letzten Landtagswahlen. Und über Martin Hohmann.

Ein Fehler wäre es gewesen, auf diesem Parteitag so zu tun, als wäre in den letzten Wochen nichts geschehen in der CDU. Als hätte es nicht all die Proteste von der Basis gegeben, weil viele Unionisten nicht verstehen wollen, warum Hohmann nach seiner antisemitischen Rede ausgeschlossen wurde. Als hätte es nicht Kritik gegeben an Merkels Umgang mit dem rechten Hinterbänkler. An dem Hin und Her vor seinem Rauswurf, den viele für eine Schwäche halten. Merkel muss Hohmanns Rauswurf noch einmal erklären. Alles andere wäre als Ausweichen, als Davonlaufen verstanden worden. Merkel läuft nicht davon. Sie greift zu einem Trick.

Merkel weiß, dass viele Konservative ihr nicht zutrauen, das zu vertreten, was sie für das Fundament der Union halten: den Patriotismus. Also beruft sie sich in ihrer Rechtfertigung für Hohmanns Rauswurf auf die Gründungsväter der Union – auf Eugen Gerstenmaier und die anderen, die Widerstand gegen die Nazis geleistet haben. Auf Andreas Hermes und auf Jakob Kaiser – und auf Helmut Kohl. „Wir sind weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind“, habe Kohl häufig gesagt. „Und er hat Recht gehabt.“

Doch damit ist es nicht getan. Ausdrücklich wehrt sich Merkel gegen den Vorwurf, Hohmann habe keine Chance gehabt, seine Äußerungen zurückzunehmen. „Wenn das in angemessener Zeit nicht geschieht, dann müssen wir die Konsequenzen ziehen, so schmerzlich sie menschlich auch sind.“

Ganz locker – davon kann also keine Rede sein auf diesem Parteitag der CDU. Das Wichtigste aber hat Merkel geschafft. Sie bekommt den notwendigen Beifall. Dass das Thema Hohmann Begeisterung auslösen wurde, konnte niemand erwarten. Begeisterung kommt erst dann auf, als Merkel direkt im Anschluss an die Hohmann-musste-raus-Passage ins Standardrepertoire konservativer Rhetorik greift. Das ist ihr nächster Trick.

Erst zieht sie noch einmal die Grenze nach ganz rechts außen, um anschließend sofort die zu beglücken, die nach rechts außen schielen. „Natürlich müssen wir sagen, dass es Missbrauch des Asylrechts gibt“, sagt Merkel. Natürlich müsse die Union sagen können, dass Kopftücher in Schulen nichts verloren haben. Genauso wenig wie die Türkei in der EU. Natürlich müsse die Union weiter die Kraft haben, „nationale Interessen in Europa zu vertreten“. Das wird bejubelt, dafür gibt es spontanen, ehrlichen Applaus. Das Signal ist angekommen: Hohmanns Rauswurf bedeutet nicht, dass die Union nach links rutscht.

Also doch ganz locker die Rechten besänftigt? Nicht ganz. Nicht alle akzeptieren Merkels Argumente. Kaum hat sie ihre Rede beendet, meldet sich Leo Lennartz zu Wort, ein 70-jähriger Stadtrat aus Euskirchen. Hohmann habe „nicht die Chance eines fairen Verfahrens bekommen“, beklagt der Jurist. „Die Parteimitglieder rebellieren“, behauptet Lennartz. „Die Gegner der CDU jubeln.“ Lennartz nimmt Hohmann in Schutz: „Die Gedanken sind frei“, sagt er. „Meinungen“ sollten nicht verboten werden. Spricht da einer aus, was viele denken? Vielleicht. Im Saal aber bleibt er ohne Resonanz. Es gibt sogar „Aufhören!“-Rufe. Und keinen Promi, der sich für Hohmann einsetzt. Im Gegenteil. Sofort eilt CDU-Vize Annette Schavan ans Mikrofon, die eifrigste Kopftuchverbieterin aus Baden-Württemberg. Hohmanns Äußerungen seien „unerträglich“ gewesen, sagt Schavan, das Ausschlussverfahren sei „transparent“. Rüttgers, der Chef des größten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen sagt, Hohmann habe „mehrfach die Chance gehabt“, zu den Werten der Union zurückzukommen. Seinem NRW-Landsmann Lennartz ruft der Landeschef zu, „Gott sei Dank“ sei dies sein letzter Parteitag. Noch wichtiger als Rüttgers’ Hilfe ist für Merkel der letzte Redner in der Debatte. Otto Wulff, der Chef der Senioren-Union, liberalen Gedankengutes unverdächtig, nennt Hohmanns Rauswurf „nachvollziehbar“ und „unumgänglich“.