vom sinn des lesens :
Bisher war bloß von abstrakten 900.000 Euro weniger binnen zwei Jahren die Rede, nun ist die Bedrohung offenbar: Von Standortschließungen ist in dem – bislang nur über Dritte kolportierten – Papier der Expertenkommission zur Konsolidierung der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB) die Rede, über das Anfang Dezember der Kulturausschuss beraten soll. Pläne, die sich vermeintlich leicht umsetzen lassen, gestaltet sich die Mobilisierung von HÖB-Lobbyisten doch schwierig. Doch auch Leserschaft ist nicht anonym. Wir haben Kulturschaffende zum Sinn des Lesens befragt. Zum Beispiel den Thalia-Intendanten Ulrich Khuon.
„Für mich ist es natürlich schwierig, eine differenzierte Bewertung der Sparvorschläge der Kommission vorzunehmen, weil ich deren Papier nicht kenne. Zur früheren niedersächsischen Kultursenatorin Helga Schuchardt, die dem Gremium ja angehört, habe ich großes Vertrauen, zumal ich sie in meiner Hannoveraner Zeit als sehr differenzierte Sachwalterin kultureller Belange kennen gelernt habe. Und was Einsparungen bei Hamburger Kultureinrichtungen betrifft, kann heutzutage natürlich keine Institution mehr einfach angesichts ihrer grundlegenden Bedeutung strukturelle Kritik vom Tisch wischen. Andererseits sollte sich die Politik nicht verführen lassen, strukturelle Argumente zu benutzen, um Missliebiges loszuwerden.
Was den Sinn des Lesens allgemein betrifft, bin ich ein passionierter Verfechter stetiger Lektüre. Ich selbst bin permanenter Leser, denn Lesen öffnet einen unglaublichen Reichtum an Erfahrungen – bis zu konkreten Lebenserfahrungen, denn durch Lektüre begreift man menschliche Motivation oft besser als durch die Alltagserfahrung. Zudem trägt Lesen zur ästhetischen Bildung bei: Jeder, der sich mit Bildung befasst, begreift, dass hier eine wichtige soziale Fähigkeit trainiert wird. Dafür ist es allerdings notwendig, dass Kinder verstehen, was sie lesen – einer der Hauptkritikpunkte von PISA –, und dass sie dies lernen, bevor sie Verantwortung übernehmen. Bei diesem Prozess müssen sie aber begleitet werden: Niedrigschwelligkeit des Angebots reicht meiner Erfahrung nach nicht aus. Denn es geht vor allem um Vermittlung, und hier sind Lehrer und Kindergärtner gefragt – womit wir mitten in der aktuellen bildungspolitischen Diskussion wären.
Genausowenig möchte ich vom grünen Tisch aus über die Notwendigkeit von Bücherhallen in einzelnen Stadtteilen urteilen. Denn bei der Leseförderung geht es vor allem um soziale Einbindung, um die Gemeinsamkeit bei der Entdeckung des Abenteuers Buch. Dass sich dies außerhalb des Messbaren bewegt, versteht sich von selbst. Denn entscheidend ist die Tiefenwirkung der Arbeit, die man leistet: Eine ausverkaufte Aufführung hat beim Publikum eventuell keinen einzigen eigenständigen Gedanken erzeugt; die tiefer gehenden Stücke, Ausstellungen und Bücher binden oft keine Massen.
Aber wir leben in einer Zeit, in der betriebswirtschaftliche Überlegungen Teil des Konzepts sein müssen, und das akzeptiere ich natürlich. Doch letztlich bleibe ich dabei: Das quantitative Urteil kann niemals das qualitative ersetzen – ganz egal, ob von Kunst, Theater oder Literatur die Rede ist.“
Protokoll: Petra Schellen