: Ende der Glaubenskrise
Nach dem 1:1-Beinahe-Sieg bei Hertha BSC hält es beim Tabellenletzten Hansa Rostock nicht nur Berufsoptimist und Neu-Trainer Jörg Berger für möglich, dem Abstieg doch noch zu entgehen
AUS BERLIN MATTI LIESKE
Ob die wundersame Wandlung der Mannschaft des FC Hansa Rostock tatsächlich mit dem grauhaarigen Herrn im dunklen Mantel zusammenhing, der während des Spiels bei Hertha BSC gelegentlich kleine Veitstänze an der Seitenlinie aufführte, ließ sich nicht abschließend beurteilen. „Man sollte nicht alles schlecht reden, was vorher war“, warnte Manfred Wimmer, auch mit dem Trainer Juri Schlünz habe man sich ja auswärts einige Male „stark präsentiert“ und acht Punkte geholt. Andererseits, so der Hansa-Präsident, sei „die Handschrift des neuen Trainers“ bereits erkennbar gewesen. Die in großer Zahl angereisten Fans des Vereins von der Ostsee mochten ebenfalls noch nicht so schnell von der Treue zum ewigen Rostocker Idol Schlünz ablassen. Auch als sie noch glaubten, mit einem 1:0-Sieg nach Hause fahren zu können, den erst Marcelinhos Tor nach 173 Sekunden der dreiminütigen Nachspielzeit zunichte machte, ließen sie zwar den Klub verbal hochleben, kein einziges Mal aber Jörg Berger, den neuen Mann auf der Rostocker Trainerbank.
Weniger zurückhaltend waren die Spieler und der designierte Retter des Tabellenletzten selbst. „Die Mannschaft hat sich rehabilitiert“, erklärte Berger, „wir haben uns kompakt gezeigt, einer hat für den anderen gekämpft und teilweise haben wir richtig guten Fußball gezeigt.“ All das hatte es in den letzten Spielen nicht zu bestaunen gegeben, vor allem natürlich nicht beim 0:6 gegen den Hamburger SV, das den Abschied von Schlünz bewirkt hatte. Ausufernde Bescheidenheit war noch nie ein Wesenszug des Fußballlehrers Jörg Berger, weshalb er auch wenig Zweifel daran ließ, dass er den spielerischen Aufschwung vorwiegend auf seine Fähigkeiten als Blitzmotivator zurückführte. Viele Gespräche habe er in den drei Tagen nach seiner Amtsübernahme mit den Spielern geführt, dabei sei es vor allem darum gegangen, ihnen Selbstvertrauen zu geben. Jetzt müsse man aber „schnell bestimmte Abläufe“ trainieren, denn auch in Berlin habe es einige Aktionen gegeben, „die begründen, warum die Mannschaft zuletzt nicht so gut gespielt hat“. Ein klarer Seitenhieb gegen seinen Vorgänger.
Jörg Berger hatte sich in der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, jedoch keineswegs auf mentale Aufmöbelung beschränkt, sondern auch taktische und personelle Veränderungen vorgenommen, die sich in Berlin bewährten. „Er macht klare Ansagen“, lobte Ronald Maul, der mit Tjikuzu und Lapaczinski neu in die umgekrempelte Viererkette rückte. Davor stand mit Persson ein wirkungsvoller Abräumer, während ein bewegliches Dreiermittelfeld den Gegner früh störte. Vorn sorgten die beiden Angreifer Di Salvo und Allbäck für Unruhe, was vor allem an dem schwedischen Nationalspieler lag. „Der Unterschied: Wir haben nicht nur nach hinten gespielt“, lobte Allbäck, der mit seiner Ballsicherheit, Übersicht und effektivem Forechecking maßgeblich dazu beitrug, dass das Spiel häufiger als zuvor fern vom eigenen Tor stattfand. Bemerkenswert auch, dass Berger bei 1:0-Führung in der 60. Minute mit Prica einen ausgewiesenen Offensivmann für einen Mittelfeldspieler brachte.
Natürlich wäre das Konzept wohl in sich zusammengebrochen, wenn Hertha eine jener Torchancen genutzt hätte, die sich die Gastgeber trotz der soliden Defensive des Gegners erarbeiten konnten. Stattdessen traf aber Thomas Rasmussen (36.), was eine weitere Verwandlung im Hansa-Team bewirkte. „Mit der Führung der Rostocker ist eines passiert“, sagte Hertha-Coach Falko Götz später, „sie haben angefangen, an sich zu glauben.“ Ein Gemütszustand, den auch das tragische Finale mit dem bitteren Verlust zweier dringend benötigter Punkte nicht nachhaltig trüben dürfte. „Wir haben gezeigt, dass wir Fußball spielen können“, lautete die Erkenntnis, die Marcus Allbäck dem Spiel in Berlin abgewann, und auch Jörg Berger sah die Situation „positiver als noch vor drei, vier Tagen“.
Die echte Nagelprobe wird aber erst am Samstag kommen, wenn es gegen Bayer Leverkusen geht – im Ostseestadion, wo Hansa bislang sämtliche Partien verloren hat. Sollte dieser Heimfluch gebannt werden, ist den Rostockern durchaus zuzutrauen, was noch vor Wochenfrist kaum jemand für möglich hielt: der Klassenerhalt. Und langsam würde sich der Verdacht aufdrängen, dass am Ende der Saison jene Teams aus der Bundesliga absteigen, die zu spät ihren Trainer gewechselt haben. Das wären nach derzeitigem Stand Freiburg, Bochum und Kaiserslautern.
Hertha BSC: Fiedler - Schröder, Madlung, Simunic, Gilberto - Kovac (58. Dardai) - Bastürk, Neuendorf (66. Reina) - Marcelinho - Rafael (76. Wichniarek), BobicHansa Rostock: Schober - Tjikuzu, Möhrle, Lapaczinski (70. Hill), Maul - Persson - Rydlewicz (46. David Rasmussen), Lantz, Thomas Rasmussen (60. Prica) - Di Salvo, AllbäckZuschauer: 43.382; Tore: 0:1 T. Rasmussen (36.), 1:1 Marcelinho (90.+3)