Stirb langsam, Teil X

Wieder macht ein Kino dicht: Die Filmbühne am Steinplatz schließt heute. Dabei war die Filmbühne das erste deutsche Programmkino und lange Treffpunkt von Filmemachern

Charlottenburg gehört zu den Wendeverlierern. Billigläden sind die letzten Profiteure

Langsam fühlt man sich wie ein Totengräber. Die nächste Beerdigung steht schon heute Abend an: Die Filmbühne am Steinplatz schließt. Nach langer Krankheit, unerwartet, viel zu früh? Seit 1950 liefen hier anspruchsvolle Filme in einem nicht ganz so anspruchsvollen Ambiente. Hier hatte man die Barhocker zur Filmnachbesprechung direkt vor der Nase. Aber die Zeiten für Kinos, vor allem in Charlottenburg, sind schlecht. Montagabend verkauft die nette Kassiererin Swantje, gleichzeitig Kartenabreißerin und auch noch Vorführerin, gerade mal acht Eintrittskarten für „Sie haben Knut“. Das macht zum Kinotagspreis von 4,50 € satte 36 Euro. Auch im Ein-Frau-Betrieb ist ein solches Kino nicht rentabel.

Die Filmbühne war einmal Treffpunkt für Cineasten und auch Filmemacher. Auf einer vergilbten Papierwand gegenüber der Kasse haben sich viele mit Filzer verewigt. Wim Wenders, H. C. Blumenberg oder Claire Denis, sie sogar mit Datum, 3. 12. 93. Diese Schließung, nachdem am Ku’damm fast nichts mehr an Leinwänden übrig ist, offenbart ein strukturelles Problem des alten Westens. Charlottenburg gehört zu den Wendeverlierern. Wer den Ku’damm von Halensee aus runterläuft, der kommt so schlecht drauf, dass er automatisch an jeder Bushaltestelle überlegt, den Rest zu fahren. Billigläden mit Ramsch sind die letzten Profiteure. Im schönen alten VW-Center ist es richtig voll: Räumungsverkauf von Krimskrams zu 44 Cent. Den letzten Flautensommer nicht überlebt haben zwei klassische Bekleidungsläden, Horn und Selbach.

Das Kinosterben hier ist nicht nur eine Folge des Overscreenings durch Multiplexe. In Charlottenburg ist man zu alt, um sich schwungvoll ins Kino zu setzen. Die Zeiten von Groß-WGs an der Kantstraße sind lange vorbei. Hollywood, Kurbel oder Astor, allesamt dicht. Das Kant war schon zu und lebt jetzt mit von den Gewinnen der Hackeschen Höfe. Nur Georg Kloster von der Yorck-Gruppe hält die Fahne hoch mit Delphi und Cinema Paris. Sein Broadway soll nur noch symbolisch Miete zahlen. Bleibt noch der Filmpalast der Cinemaxx-Gruppe. Wie lange es das Royal noch gibt, ist ungewiss. Sogar der Zoo Palast gilt als gefährdet. Cinestar hat die marode UfA übernommen. Gerade haben die Besitzer Kieft & Kieft ihre letzten Anteile an Cinestar an eine kanadische Gruppe verkauft, die alle Häuser neu durchrechnet.

Die tolle alte Blechkiste mit den Kartenrollen der Filmbühne wird wohl bald auf dem Flohmarkt landen. Ein Besucher möchte Lakritze, die ist aber schon alle. Wenigstens sind Sie kein Popcornkino, sagt er. Von der Schließung hat er noch nichts bemerkt. Aushänge gibt es nicht. Die Pächterin Anna Kruse, früher im Sputnik Wedding dabei, plant auch keine Feier. „Da würde ich nur heulen“, sagt sie. Die Leute sollten wenigstens weiter ins Klick und Filmkunst 66 gehen, meint sie.

Der Pächter des Restaurants ist auch Verpächter des Kinos. So sagt der Kellner, das Kino mache im nächsten Jahr bestimmt wieder auf. Hoffen wir, dass er Recht behält. Die Technik aber wird definitiv ausgebaut.

Die Filmbühne, 1950 eröffnet, war das erste deutsche Programmkino. Die großformatigen schwarz-weiß Filmfotos mit dem gelochten Zelluloidrahmen im Foyer und im Kino selbst präsentieren die Größen der Filmgeschichte. Die Vorführerin muss jetzt schnell rauf, die Rolle wechseln und die Kasse abrechnen. Sinnigerweise läuft heute noch mal der schöne Dokumentarfilm „Testamento“. ANDREAS BECKER