achtung, schwarzfahrer: 40 Euro sind 160 Ostmark : Die BVB kontrolliert ihre Kontrollierer – angeblich mit gefälschten Laminierern
Es wird viel lamentiert übers Laminieren bei der BVG. Studenten, die ihre Semestertickets einschweißen, sollen nicht ordnungsliebend sein, sondern betrügerisch veranlagt. Weil die BVG gefälschte Tickets sichergestellt hat, deren Besitzer manchmal Laminierer waren, machte der Beförderungsbetrieb die Gleichung „Laminierer gleich Fälscher“ auf und konfiszierte flächendeckend laminiertes Material. So weit der bisherige Stan. (siehe taz vom 11. 11. 03).
Die BVG hat eine in Maßen europafeindliche und rückwärts gewandte Anti-Schwarzfahrer-Werbung in ihren Fahrzeugen angebracht. „40 Euro sind übrigens 80 Mark“, heißt es da pseudo-aufklärerisch. Stimmt aber gar nicht. Die Mark, mag man rufen, existiert übrigens nicht mehr. Genauso gut hätten die Schockwerbungsspezialisten die Ostmark als Vergleichswährung heranziehen können. Das klänge noch beeindruckender: „40 Euro sind übrigens 160 Ostmark.“ Je nach Wechselkurs. „Boah, scheiße, Mann“, würde der Schwarzfahrer denken, bevor ihm die Wende wieder einfiele. Und nicht nur der.
Auch der studentische Laminierer kommt beim Anblick der Warnplakette ins Schwitzen. Das Einschweißen mit Folie macht die Fahrausweise ungültig. „40 Euro sind 80 Mark“, denkt der Laminierer also oder auch die Laminiererin, während der Kontrollierer ihm – oder ihr – eine Zahlungsaufforderung über erhöhtes Beförderungsentgelt reindrückt – in die Hand.
Dann beginnt die Laminiererinnenreise. Erste Station: das Hauptgebäude der BVG. Vor dem Schild „Erhöhtes Beförderungsentgelt“ warten allmorgendlich Laminierer im Verein mit ganz gewöhnlichen Fahrscheinverbrechern, bis der kleine Zeiger der großen Uhr am Kleistpark sich der Neun nähert. Je näher der Zeiger der Zahl kommt, desto näher drücken sich Laminierer und Nicht-Laminierer hufescharrend ans noch verschlossene Tor. Bis ein BVG-Beamter mit seinen Schlüsseln klimpert und darauf die Herde wie ein Rinderhirt zu den Schaltern traben lässt.
Dort holt sich der Laminierer eine Fristverlängerung, weil er doch einen ungültigen, weil laminierten Ausweis hat und weil es doch länger als sieben Tage dauert, bis die Uni ihm den neuen, gültigen zuschickt. Gegen eine Bearbeitungsgebühr von 10 Euro und 63 Cent. Umgerechnet rund 40 Ostmark. Wenn er den neuen, unlaminierten, gültigen Ausweis beim nächsten BVG-Besuch vorzeigt, darf er noch eine Bearbeitungsgebühr zahlen. 7 Euro. Übrigens: Ostmark nehmen die Schalterbeamten nicht.
Während der Laminierer nun auf das Semesterticket wartet, muss er sich Fahrscheine kaufen, pro Stück etwa 8 Ostmark. Wenn er sich keine kauft und im Falle einer Kontrolle versucht, die Kontrollierer zum temporären Tolerieren des Laminierens zu bewegen, dann erzählen diese Kontrollierer manchmal brisante Geschichten.
Etwa, dass sie selbst zwar tolerieren würden. Dass aber das Tolerieren beim Kontrollieren von weiteren Kontrollierern kontrolliert würde. Die sich per Ticket als Laminierer tarnten. Sehr stasiesk das alles. Auch stellt sich die Frage, wer denn in Berlin in der U-Bahn sitzt. Ob das nur noch Kontrollierer sind, als gefakte Laminierer. Sieht natürlich großstädtischer aus, wenn die Wagen gestopft voll sind. Könnte sich um einen Marketingtrick der Verkehrsbetriebe handeln.
Zuletzt: Schafft die BVG womöglich gar einen Straftatbestand, den es ohne die Laminierer-Kontrollierer, also die falschen Laminierer, gar nicht gäbe? Tut sie nicht. Die Echten nämlich sitzen vor den Immatrikulationsbüros. Mit sehr realen Wartezeiten von bis zu zwei Stunden. Und lamentieren über die Kriminalisierung des Laminierens.
JOHANNES GERNERT