: Zwergenaufstand in sächsischem Minidorf
Heuersdorf kämpft gegen Braunkohlebagger. 310 Einwohner gegen eine Lobby, die 3.400 Arbeitsplätze retten will
DRESDEN taz ■ Arbeitsplätze gegen das Recht auf Dorf und Heimat: Noch immer stellen die gefräßigen Braunkohlentagebaue in der ehemaligen DDR solche kaum kompromissfähigen Alternativen. Ökonomischer Pragmatismus gegen archaische Werte: In Sachsen ist das Dörfchen Heuersdorf südlich von Leipzig mit seinen einst 310 Einwohnern zum Symbol des Widerstandes gegen die dörferverschlingenden Kohlebagger geworden.
Mit Erfolg. Schon 2000 hatte der sächsische Verfassungsgerichtshof ein erstes Gesetz gekippt, das die Auflösung des Ortes zum Ziel hatte. In den letzten beiden Wochen eskalierte der Streit erneut, nachdem auch das sächsische Oberverwaltungsgericht den Rahmenbetriebsplan für den nahenden Braunkohletagebau Schleenhain wegen Formfehlern für ungültig erklärt hatte. Vor der jüngsten Landtagssitzung, auf der ein neues und gerichtsfestes Heuersdorf-Gesetz eingebracht werden sollte, prallten die Interessengegensätze anschaulich aufeinander. Binnen zehn Minuten übergaben beide Seiten Petitionen an die Fraktionsvorsitzenden. Mario Gierl, Betriebsratsvorsitzender des mitteldeutschen Braunkohleunternehmens Mibrag, setzte sich im Namen von 9.572 Unterzeichnern für die Abbaggerung des Örtchens ein. 3.400 Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel. „Auch wir möchten in der Region leben und arbeiten“, sagte Gierl. Horst Bruchmann, Bürgermeister der in Heuersdorf ausharrenden 160 Einwohner, mahnte seinerseits die Dorfinteressen an.
Seit zehn Jahren beschäftigt der Heuersdorf-Streit die sächsische Politik. „Das hat uns Biedenkopf eingebrockt“, sagt die Heuersdorferin Ute Gey und meint den 1993 gefassten Beschluss zum Ausbau des nahen Kraftwerkes Lippendorf. Parallel dazu verabschiedete die Staatsregierung ein Jahr später den Braunkohleplan. Der war zugleich ein Sozialplan, um den etwa 55.000 zu DDR-Zeiten in der Braunkohle Beschäftigten im Süden von Leipzig ein Perspektive zu geben. Und er stand unter dem Einfluss der neuen US-amerikanischen Chefs der privatisierten Mibrag.
Für die Heuersdorfer aber starb damit ein weiterer Wende-Traum. Nun, wo alles besser zu werden versprach, sollte auch das Dörferfressen ein Ende haben, hatten sie gedacht. So hatte es noch 1993 der damalige sächsische Landwirtschaftsminister Rolf Jähnichen zugesagt. Mit dem möglichen Ende ihres 700-jährigen Dorfes konfrontiert, setzen die Heuersdorfer bis heute auf eine Umfahrung, auf eine friedliche Nachbarschaft zu den Baggern, mit denen sie schon seit 1920 leben.
Damit würde der Tagebau unwirtschaftlich, argumentiert dagegen die Mibrag und fürchtet, der Lippendorfer Kraftwerksbetreiber Vattenfall könne ihr die Kohle nicht mehr abnehmen. „Nur Panikmache“, kommentiert Bernd Günther, Vorsitzender des Vereins „Pro Heuersdorf“. Jeffrey H. Michel, Energiebeauftragter von Heuersdorf, argumentiert auch ökologisch: 100 Windräder könnten die geschätzten 25 Millionen Tonnen Kohle unter Heuersdorf ersetzen. Die Heuersdorfer haben die sächsischen Bündnisgrünen und die PDS auf ihrer Seite. Auch die Domowina, die Vertretung der sorbischen Minderheit, erklärte sich solidarisch.
Die SPD hat sich hingegen ebenso klar für die Abbaggerung des Ortes entschieden wie die IG Bergbau und Energie und die CDU-geführte Staatsregierung. Ob sie und die Mibrag mit immer attraktiveren Umsiedlungsangeboten die Fehler einer unsensiblen Politik in der Vergangenheit noch korrigieren können, scheint angesichts verhärteter Fronten fraglich. Die Heuersdorfer setzen auf Einzelklagen und damit auf Zeit über 2006 hinaus, wenn der Ort nach Mibrag-Plänen geräumt sein müsste. MICHAEL BARTSCH